Weltweite Meeresschutz-Strategie fehlt
Der Ozean wird nicht sterben. Da ist sich Martin Visbeck sicher – hält es allerdings für geboten, diese Feststellung mit einem großen „Aber“ zu relativie ren.
Denn nach Ansicht des Sprechers des Kieler Forschungsprojekts „Ozean der Zukunft“ werden sich die Meere „dramatisch ändern“, wenn die Menschen nicht besser mit ihnen umgehen. Das könnte so weit gehen, „dass die Meere möglicherweise nicht mehr die Dienstleistungen erbringen, die wir zum Leben brauchen“, sagte Visbeck anlässlich der Vorstellung des vierten „World Ocean Review“ (WOR) am Dienstag in Berlin. In dem mehr als 130 Seiten starken Bericht haben sich Wissenschaftler Gedanken über einen nachhaltigen Umgang mit den Meeren gemacht.
Der Mensch profitiert heute vom Meer in vielerlei Hinsicht. Er nutzt es beispielsweise als Transportweg, als Lebensmittel- und Rohstofflieferant oder als Erholungsort. Dabei wird das sensi ble Ökosystem oft aus dem Gleichgewicht gebracht: zum Beispiel durch Überfischung, das Einleiten von Giften und zu vielen Nährstoffen sowie durch Öl- und Gasbohrungen. Der Umgang mit dem Meer muss also nachhaltiger werden, so die Forderung. „Es geht dar um, die Ökologie, die Ökonomie und die Menschen in Einklang zu bringen“, so Visbeck.
„Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben heute mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung in Küstennähe, rund 2,8 Milliarden Menschen“, heißt es im WOR. Von den weltweit 20 Megastädten mit jeweils mehr als 10 Millionen Menschen liegen 13 am Meer. Die Armutsbekämpfung habe in vielen Ländern höchste Priorität, sagt Konrad Ott, Professor für Philosophie und Ethik der Umwelt an der Uni Kiel und Mitverfasser des Reports. „Die Naturschutzdimension gerät ins Hintertreffen oder wird als westlicher Luxus betrachtet.“ Er und seine Mitstreiter plädieren deshalb für einen starken Nachhaltigkeitsbegriff, der sich für die umfassende Erhaltung und Renaturierung aller Bestände von Natur kapitalien einsetzt.
Eine Vielzahl verschiedener Institutionen und Organisationen befasst sich derzeit mit dem Schutz oder dem Nutzen der Meere. „Das ist ziemlich kompliziert“, sagt Visbeck. Meerespolitik sei sehr partikulär und auf Sektoren ausgerichtet und werde nicht ganzheitlich gedacht. In Europa beginne man damit, gemeinsame Regeln zu entwerfen. Dabei sei aber der europäische Weg nicht abgestimmt mit Afrika, sagt Visbeck. „Wir teilen aber einen Ozean.“ In anderen Regionen wie in Asien gebe es so etwas wie regionale Meeresverwaltung nicht.“
In Europa machen die Länder eine Art Raumplanung für ihre Küsten. Deutschland beispielsweise habe bereits jeden Quadratmeter verplant – hier ein Windpark, da ein Schutzgebiet, da eine Wasserstraße oder ein Stromkabel. „Wir glauben, so etwas muss man weltweit machen“, sagt Visbeck. Ansonsten werde es immer kaum lösbare Nutzungskonflikte geben. Auch Schutzgebiete müssten Teil eines Plans sein. Neben der Politik sei aber auch die Zivilgesellschaft gefragt, findet Visbeck. Gegen Plastik und anderen Müll im Meer etwa könne jeder seinen Beitrag leisten. Und: „Wir Verbraucher sollten zum Beispiel nachhaltig gefangenen Fisch einfordern.“ In Deutschland sei das Bewusstsein für Umweltthemen relativ groß. „Das ist in vielen Ländern nicht so.“ Dort sei die Umwelt in erster Linie dafür da, bei der Hungerbekämpfung zu helfen. Solche Länder seien noch mehr in der Kurzfristigkeit verhaftet, sagt Visbeck. Ob sich dies ändern wird, ist ungewiss. Ott formuliert es so: „Es gibt Anzeichen für Umdenken und Anzeichen für Gegenteiliges. Das Spiel ist offen.“ dpa/bre