Emssperrwerk dient nicht nur der Meyer Werft

Bauwerk der Superlative: das Emssperrwerk bei Gandersum im Emsland. Es wurde zwischen 1998 bis 2002 gebaut und kostete rund 234 Millionen Euro, Foto: THB-Archiv

Sperrwerkspassage: Meyer-Werft-Neubau „Spirit of Discovery“ , Foto: Meyer Werft
Emsland, Meyer Werft in Papenburg und Emssperrwerk – das ist untrennbar miteinander verbunden.
Zwischen 1998 und 2002 entstand das Bauwerk mitten in der Ems in Höhe der beiden Ortschaften Gandersum am Nord ufer und Nendorp am Südufer der in die Nordsee mündenden Ems. Schon von Weitem ist das vor allem dem Flutschutz dienende Betongebilde in der ansonsten brettflachen Landschaft zu sehen. Es gibt viele Bewunderer des Schutzwerkes, doch es gibt auch nach knapp 20 Jahren Existenz immer noch viele Menschen, die das rund 224 Millionen Euro teure Bauwerk ablehnen.
Damit das Sperrwerk reibungslos funktioniert, sorgt ein eingespieltes Team für dessen störungsfreien Betrieb. Einer von ihnen ist Armin Heine. Der 33-Jährige ist seit 2016 Betriebsleiter des Emssperrwerks. Ihm zur Seite steht auch Weert Janssen-Zimmermann. Der Ostfriese ist Sperrwerksmeister im Emssperrwerk. Seit 19 Jahren ist er auf dieser Anlage. „Als die ersten technischen Anlagen eingebaut wurden, sind ich und mein Kollege dazugekommen“, erinnert sich der 55-Jährige. Er kenne sich mit der Einrichtung schon „relativ gut aus“.
Das Emssperrwerk ist ein gewaltiges Bauwerk. Es erstreckt sich in der Emsmündung zwischen Gandersum und Nendorp auf einer Länge von fast einem halben Kilometer – 476 Meter sind es genau. Es soll der Meyer Werft die Überführung ihrer Kreuzfahrtschiffe über die Ems erlauben und die Region vor Sturmfluten schützen. Es diene sowohl dem Küstenschutz als auch dem Erhalt der Wirtschaftskraft, sagt Heine.
Insgesamt hat das Emssperrwerk sieben voneinander getrennte Öffnungen. Die wichtigste davon ist die 60 Meter breite Hauptschifffahrtsöffnung. Daneben befindet sich der 50 Meter breite Durchlass für die Binnenschifffahrt, die auf der Ems ebenfalls von Bedeutung ist. Durch diese beiden Portale fahren Schiffe Richtung Binnenland beziehungsweise nehmen Kurs auf die Küste und damit auch das offene Meer. Die Zahl spricht für sich: Jährlich passieren rund 12.000 Schiffe das Bauwerk. „Daran sieht man, dass wir nicht nur für die Meyer Werft da sind“, sagt Heinen.
Das Bauwerk steckt voller Technik. So sind in den Pfeilern riesige Elektropumpen eingebaut, die bis zu 100 Kubikmeter Wasser pro Sekunde fördern können. Mit ihnen wird – wenn nötig – auch der Pegelstand in der Ems erhöht. Das ist immer dann geboten, wenn die für die Region inzwischen zum Markenzeichen und zentralen Arbeitgeber aufgerückte Meyer Werft eines ihrer großen Kreuzfahrtschiffe abliefert, um sie danach an anderer Stelle endausrüsten zu lassen. Für den Zweck muss die Ems aufgestaut werden, damit das Schiff gewissermaßen auf einem zusätzlichen Wasserpolster in Richtung Nordsee geleitet werden kann.
Aber auch die Tore, die die Ems im Fall einer Sturmflut und einer Aufstauung absperren, sind in den Pfeilerbauwerken verankert. Die beiden Schifffahrtsöffnungen sind mit Drehsegmenttoren ausgestattet. Das ist eine Technik, die sich bereits beim großen Themse-Sperrwerk vor den Toren der britischen Metropole London bewährt hat. Gewaltige Hydraulikzylinder drehen die tonnenschweren Sperren vom Untergrund in die Vertikale und verschließen so den Strom.
Janssen-Zimmermann und seine Kollegen müssen dafür sorgen, dass diese Technik zuverlässig funktioniert, wenn sie gebraucht wird. Jeden Tag müssen sie auf eine Vielzahl von elektrischen Relais, Hydraulikventilen und anderen Kontrolleinrichtungen achten. Einmal im Monat werden die Tore, die nicht in der Hauptschifffahrtsrinne liegen, zur Probe gefahren, um ihre Funktionstüchtigkeit zu überprüfen. Einmal im Vierteljahr wird das dann auch für die Hauptschifffahrtsöffnung vorgenommen.
Als das Sperrwerk geplant wurde, gingen die Fachleute von der Annahme aus, dass es künftig alle zwei Jahre eine Sturmflut geben werde. Doch sie täuschten sich in dieser Einschätzung: „Inzwischen haben wir seit 2002 insgesamt 16 Sturmfluten gehabt – also deutlich mehr, als mal gedacht war“, erläutert Heine.
Keine Frage: Das Großbauwerk gehörte, bevor es in Angriff genommen wurde, zu den umstrittensten Bauvorhaben im Flächenbundesland Niedersachsen – doch auch danach. Mit Folgen: Ein vom Verwaltungsgericht Oldenburg verhängter Baustopp verzögerte die Bauarbeiten noch einmal um elf Monate, nachdem Umweltschützer geklagt hatten. Erst 2006 endeten die juristischen Auseinandersetzungen mit einem Vergleich am Bundesverwaltungsgericht.
Ihre jahrzehntelange Forderung, die Meyer Werft solle ihren Standort verlagern, haben die großen Umweltverbände WWF, Nabu und BUND inzwischen aufgegeben. Stattdessen kam 2015 der Masterplan Ems. Auf ihn verständigten sich Landes- und Bundesregierung ebenso wie die Naturschutzverbände, verschiedene Landkreise, die Stadt Emden und auch die Werft. Ein wichtiges Ziel des Plans: Er soll die Wasserqualität der Ems verbessern und auch das Schlick problem lösen.
Und hier kommt wieder das Sperrwerk ins Spiel. Es soll zur flexiblen Tidesteuerung genutzt werden. Das Pro blem: Mit jeder Flut wird mehr Schlick in die Ems gedrückt, als bei Ebbe wieder herausfließt. Das Flussbett verschlickt daher und muss regelmäßig aufwendig freigebaggert werden. Das Sperrwerk soll nun dazu dienen, den Tidestrom bei Flut abzuschwächen, indem es bei Flut eine Zeit lang geschlossen wird. Starttermin ist 2022. Bund und Land hatten sich jüngst darauf geeinigt, die Baukosten von 30 bis 40 Millionen Euro untereinander zu teilen.
Bei der örtlichen Bürgerinitiative „Rettet die Ems“ sieht man diese Pläne indes kritisch. Es gebe keinen Beweis, dass die flexible Tidesteuerung tatsächlich die Verschlickung verringere, meint Hajo Rutenberg, Sprecher der Bürgerinitiative. Aus seiner Sicht sei das Ausbaggern des Flusses für die Überführung der Kreuzfahrtschiffe die Ursache der Verschlickung. Er sagt: „Die öffentliche Hand wird sehr viel Geld ausgeben, ohne dass man weiß, ob es funktioniert.“
Bei den großen Umweltverbänden Nabu, BUND und WWF setzen die Experten hingegen sehr wohl auf die flexible Tidesteuerung. „Es gibt zwar noch viele Fragen, aber wir sehen im Moment keine weiteren Möglichkeiten, etwas gegen die Verschlickung zu tun“, sagt Elke Meier, Fachbereichsleiterin Naturschutz beim Nabu Niedersachsen. EHA/dpa