Liebherr: 100 Millionen Euro Schaden bei Kran-Unfall

Der renommierte, international tätige Kranbauer Liebherr wird an seinem Standort im Rostocker Überseehafen vom Pech verfolgt. Zum zweiten Mal in gut drei Monaten wurde das Unternehmen mit einem schweren Arbeitsunfall konfrontiert. Die Polizei geht von 100 Millionen Euro Sachschaden aus.

Der aktuelle Zwischenfall ereignete sich während eines Belastungstests für den bislang größten von Liebherr konstruierten und gebauten Schwerlastkrans HLC 295000 an Bord des Offshore-Installationsschiffes „Orion I“ (IMO 9825453). Bei dem Unglück am Sonnabend wurden zudem zwölf Menschen verletzt.

Seit November hatten Techniker an der Montage des Krans auf dem von der belgischen Deme Group georderten Spezialschiffes gearbeitet. Geplant war die Übergabe des Schiffes an den Auftraggeber für die kommenden Tage, wie THB-Recherchen ergaben.

Der Test sah vor, dass der Kran einen mehr als 5000 Tonnen schweren Ponton heben sollte. Dabei kam es zu dem Unfall. Der Hauptausleger des Krans schnellte unter einem lauten Knall wie eine Feder zurück. Über Schiff und Pier ergoss sich ein Teileregen.

Die belgische Deme Group wird durch den Unfall mit dem Liebherr-Schwerlastkran an Bord ihres neuen Offshore-Installationsschiffes „Orion I“ mit erheblichen operativen, nicht geplanten Mehrbelastungen konfrontiert. Das bestätigte das Unternehmen dem THB auf Anfrage. In den nächsten Tagen sollte das Schiff, das laut Deme noch der Bauwerft Cosco gehört, übergeben werden. „Es ist klar, dass die Reparatur wahrscheinlich Monate dauern wird“, erklärte eine Sprecherin von Deme auf Anfrage des THB. „Der Kran hat erhebliche Schäden erlitten“, sagte sie zum Zustand des HLC 295000. Allein die Untersuchung könne Wochen dauern, hieß es.

So war die „Orion I“ seitens Deme bereits für den Aufbau des 950-Megawatt-Offshore-Windparks „Moray-East“ vor der Küste Schottlands eingeplant. „Wir suchen nach Lösungen für ein Ersatzschiff, sowohl in unserer eigenen Flotte als auch in der Flotte Dritter“, teilte die belgische Firma weiter mit. Der Windpark soll bis 2023 fertiggestellt sein.

Die Sprecherin bestätigte, dass die Ergebnisse einer ersten Begutachtung vor Ort auf ein Versagen des Kranhakens hindeuten würden. Der Haken war bei einem Test zerstört und der Schwerlastkran daraufhin unkontrolliert zusammengebrochen. „Zur Ursache und zum Ablauf können wir noch keine Angaben machen“, führte Liebherr-Sprecher Dieter Schmidt gegenüber dem THB aus. Auch den Schaden wollte er nicht näher beziffern.

Der überschwere Spezialhaken war auf einem Tieflader bei Liebherr-MCCtec angeliefert worden. Der Test sollte so ausgeführt werden, dass eine konstruktionsbedingte Zusatzbelastungs-Reserve mit einbezogen werden sollte. Schmidt sprach von einem „Überlasttest“.

Der 180 Meter hohe Hauptausleger stand ziemlich senkrecht, an der  Steuerbordseite hatte ein Schlepper einen speziellen mit Wasser gefüllten Ponton als Testgewicht in Stellung gebracht. Während des Tests rissen verschiedenen Augenzeugenberichten zufolge Traverse und Haken auseinander, durch den plötzlichen Lastverlust schleuderte der zu dem Zeitpunkt unter starker Spannung stehende Kranausleger zurück und überschlug sich. Trümmerteile fielen auf die Pier, auf einen Kleinbus und ins Wasser. Im Netz kursieren Handyvideos von Augenzeugen des Unglücks. Die Filme verzeichnen viele Klickzahlen.
Der THB war Sonntag vor Ort, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Dieses Bild bot sich THB-Redakteur Timo Jann: Am Turm des HLC 295000 hing die Traverse, auf dem Ponton lag der zwischenzeitlich mit einer Persenning abgedeckte Haken. Massive Stahlbauteile des einmaligen Krans wirkten, als sei es ein einfaches Drahtgeflecht. Im Hafenbecken B sollen ausgelegte Ölsperren eine Verschmutzung durch ausgelaufenes Hydrauliköl reduzieren.

Der Kran wurde seit November 2019 an Bord des auf der Cosco Werft in Qidong gebauten 216,50 Meter langen Offshore-Installationsschiffes montiert. Für die akribisch vorbereitete Montage samt Belastungstest waren 35 Liebherr-Mitarbeiter freiwillig in Quarantäne gegangen – fallen die Arbeiten doch genau in die Zeit der Covid-19-Auflagen. Neben dem HLC 295000 wurden auch zwei Offshore-Krane RL-K 4200 montiert. Während des Tests waren am Sonnabend gegen 15.35 Uhr nach Polizeiangaben 120 Menschen an Bord. Sie wurden nach dem Unfall evakuiert, Feuerwehr und Rettungsdienst waren im Einsatz.

Für die Energiewende werden mehr und größer dimensionierte Offshore-Windkraftanlagen gebaut. Dabei, aber auch beim Rückbau ausgedienter Öl- oder Gas-Förderanlagen im Offshore-Bereich, sollte die „Orion I“ mit ihrer bis zu 130 Mann großen Besatzung zum Einsatz kommen.

Erst Ende Januar hatte es bei Liebherr in Rostock einen aufsehenerregenden Unfall gegeben. Zwei 440 Tonnen schwere Mobilkrane der Baureihe LHM550 waren beim Verladen auf das Schwerlastschiff „Jumbo Vision“ über Bord gegangen und im Hafenbecken versunken. Ab dem 7. März konnte sie der aus Rotterdam angerückte Schwimmkran „Hebo Lift 9“ nach und nach bergen. tja

Teilen
Drucken

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben