Schubschiff bugsiert Kirche
Seit mehr als 50 Jahren liegt Deutschlands größte schwimmende Kirche in Hamburg vor Anker. Still schwankt der alte Frachtkahn vor sich hin, wenn eine Barkasse an der Flussschifferkirche vorbeituckert. Doch mit der Ruhe ist es jetzt vorbei, das 1952 geweihte Boot geht zum ersten Mal auf große Pilgerfahrt. Vom 1. Mai an wird die Kirche vom Schubschiff «Dagobert» drei Wochen lang durch acht Bundesländer bugsiert. «Wir schaffen etwa 50 Kilometer pro Tag», erzählt Diakon Johann Karnatz.
Gemeinsam mit dem Künstler Ludger Trautmann und Küster Friedrich Wosniak steuert der Geistliche insgesamt 17 Städte an Elbe, Havel, Havel-Elbe-Kanal, Mittellandkanal und Weser an. Das Ziel der Reise ist Bremen, wo vom 20. bis 24. Mai der evangelische Kirchentag stattfindet. Zu der Großveranstaltung werden allein am Eröffnungsabend etwa 300 000 Gläubige erwartet.
Kurz vor der großen Fahrt bringen rund 20 ehrenamtliche Helfer die Flussschifferkirche auf Vordermann. Resolut schwingt Küster Wosniak, alias Fiete, den Wischmop über die Bodenbretter des Kirchenraumes im Inneren des Bootes. Durch gotische Glasfenster mit Fischereimotiven fällt spärlich das Tageslicht in den holzvertäfelten Raum. Von der Orgel bis zum schlichten Kreuz steht hier auf engstem Raum alles, was ein Gotteshaus ausmacht. Über dem schlichten Altar prangt ein Holzschnitt von Jesus mit seinen Jüngern - natürlich auf einem Boot.
Während Fiete unter Deck schrubbt und wienert, wird an Deck der azurblaue Lack des Frachters aufgefrischt. Auch der rund 180 Kilo schwere hölzerne Kirchturm mit der kleinen Glocke wurde gerade umgebaut. «Er war zu hoch für zwei Brücken auf unserem Weg und kann jetzt schnell abgebaut werden», erzählt Diakon Karnatz. Der 52- Jährige ist eng mit dem Schiff verbunden, schließlich absolvierte er hier vor 20 Jahren als Berufsanfänger sein Anerkennungsjahr.
Damals lag die Kirche noch im Müggenburger Zollhafen vor Anker und war Treffpunkt für die Schiffer. «Die Kapitäne holten immer den Segen der Kirche ein, bevor sie zu ihren Fahrten aufbrachen», erzählt der Sohn eines Seemannes. Heute kommen nur noch wenige Binnenschiffer in das schwimmende Gotteshaus. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch gesunken. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten derzeit rund 6100 Menschen auf deutschen Binnenschiffen - 1970 waren es noch etwa 15 500.
Auch wegen der stark rückläufigen Mitgliederzahlen wurde die Flussschifferkirche vor zwei Jahren aus dem kirchlichen Verbund ausgegliedert und zu einem privat getragenen Verein umgewandelt. Seitdem predigt Karnatz regelmäßig auch beim Gottesdienst am Sonntag. Denn mit der Umstrukturierung fielen nicht nur die Gelder aus der Kirchensteuer, sondern auch der fest angestellte Pfarrer weg.
«Meistens halten pensionierte Pastoren oder Diakone den Gottesdienst ab», berichtet Mitarbeiterin Nicole Heinsohn. Alle vier Wochen predigen die Geistlichen auch auf plattdeutsch. «Viele Menschen verbinden das schließlich noch immer mit dem Hafen.» Finanziert wird das jährlich rund 100 000 Euro teure Kirchenleben durch die Kollekte, Spenden und Patenschaften, sagt die Vereinsvorsitzende Christiane Hey-Laib.
Statt der Schiffer kommen jetzt die Touristen. Das Gästebuch zeugt von den vielen Besuchern, die von weit her kamen. «Wir hatten hier eine stille Minute», schrieb ein Paar aus Oberbayern. Mit der beschriebenen Ruhe ist es in den nächsten Wochen vorbei. Erst nach ihrer Rückkehr von der großen Reise wird die «Flussschifferkirche zu Hamburg» wohl wieder zum beschaulichen Gotteshaus, das leicht schwankt, wenn eine Barkasse langsam an ihm vorbeituckert.