Tote "Gorch Fock"-Kadettin: Den Eltern bleibt ein Meer aus Fragen

Licht in den noch immer rätselhaften Tod der "Gorch Fock"-Kadettin Jenny Böken zu bringen, ist für ihre Eltern ein Kampf David gegen Goliath. In einer Septembernacht vor acht Jahren stürzte die 18-Jährige über Bord des Segelschulschiffes der Bundeswehr und ertrank. Elf Tage später wurde ihre Leiche aus der Nordsee geborgen.

Seither zweifeln ihre Eltern daran, wovon die Staatsanwaltschaft überzeugt ist: Dass der Tod des jungen Frau aus dem nordrhein-westfälischen Geilenkirchen bei Aachen ein tragischer Unfall war. Für Marlis und Uwe Böken dagegen tut sich noch immer ein trübes Meer aus Fragen auf: War Jenny gesund genug, um Wachdienst zu schieben? Tragen Dritte Schuld am Tod ihrer Tochter? War die Wetterlage wirklich so ruhig, wie viele Zeugen und nun auch der damalige Kapitän des Schiffes angeben?

Die Bökens fühlen sich im Stich gelassen von den Ermittlern und der Justiz. Zuletzt scheiterte vor dem Oberlandesgericht Schleswig ihr Versuch, den Schiffsarzt zu Verantwortung zu ziehen. Die Eltern werfen ihm vor, dass er die Tochter trotz Unterleibsschmerzen und ihrer Neigung, immer wieder einzuschlafen, nicht vom Wachdienst befreit hatte.

An die Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster am Mittwoch hatten sie sich daher wie an einen Strohhalm geklammert. Und zwar nicht, weil es hier um eine Entschädigung in Höhe von 20.000 Euro geht. "Das ist mir ganz egal", betont Vater Uwe Böken. Vielmehr bestehe die vage Hoffnung, dass die geladenen Zeugen "die Mauer des Schweigens durchbrechen", wie ihr Anwalt Rainer Dietz es nennt.

Ungereimtheiten

Zumindest wittern die Eltern die Chance, Ungereimtheiten der Todesumstände offenzulegen, um die Staatsanwaltschaft doch noch zu Ermittlungen zu bringen.

Doch allzu hohe Erwartungen dämpft der Vorsitzende Richter Hans-Jörg Holtbrügge gleich zum Auftakt: In dem Berufungsverfahren gehe es einzig und allein um die Entschädigungsklage der Eltern nach dem Soldatenversorgungsgesetz. Es sieht solche Zahlungen an die Hinterbliebenen vor, wenn ein Soldat in einem besonders lebensgefährlichen Dienst ums Leben kommt - aber eben nur dann.

Um die Frage, welche besonderen Gefahren es in dieser Nacht für Leib und Leben von Jenny Böken gegeben haben könnte, drehen sich folglich auch die Fragen an die Zeugen. Hatte Jenny über Schmerzen geklagt? Wie waren die Wachposten gesichert? Wie war das Wetter, der Wellengang? War das Vorderdeck, wo Jenny ihren Ausguckposten bezogen hatte, beleuchtet?

Der Himmel klar, die See relativ ruhig - so erinnern sich zwei ehemalige Mitstreiterinnen an Deck im Zeugenstand an die Nacht. Einzelheiten aber erinnern sie nicht, manches weicht ab von dem, was sie bei früheren Vernehmungen angeben hatten. Ob Jenny über Unterleibsschmerzen klagte, wüssten sie nicht mehr. An Bord sei aber immer wieder Thema gewesen, dass sie häufiger einfach so einnickte.

Ruhige See

"Das Schiff lag sehr stabil im Wasser, ruhig", gibt auch der damalige Kommandant Norbert Schatz zu Protokoll. Es habe keinen Anlass gegeben, Schwimmwesten oder andere Sicherungen anzulegen. Auch der Marine-Meteorologe der "Gorch Fock" zeichnet das Bild einer gewöhnlichen Lage an Bord des Seglers: Wellengang von eineinhalb, zwei Metern, beständiger starker Wind, aber kein Sturm.

Dietz, Anwalt der Bökens, will jedoch die Chance nutzen, Widersprüche offen zu legen. Er konfrontiert die Zeugen mit alten Aussagen, die von den heutigen in Einzelheiten abweichen, hakt nach bei Wellenhöhe, Wassertemperatur. Denn ihren Kampf gegen Justiz und Ermittlungsbehörden wollen die Bökens auch nach acht Jahren nicht aufgeben - ganz egal, zu welchem Urteil die Verwaltungsrichter kommen. "David hat noch Kraft", sagt Uwe Böken am Rande der Verhandlung. (dpa)

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