Tod auf der "Gorch Fock": Oberverwaltungsgericht hört neun Zeugen

Der Todesfall der jungen Kadettin ist bis heute rätselhaft. Vor acht Jahren stürzte Jenny Böken einen Tag vor ihrem 19. Geburtstag auf der "Gorch Fock", dem Segelschulschiff der Bundeswehr, über Bord. Die Leiche der Frau aus Geilenkirchen (Kreis Heinsberg) wurde später in der Nordsee gefunden. Die Eltern kämpfen seit Jahren vor deutschen Gerichten um Entschädigung und um eine Antwort auf die Frage: Wer trägt die Schuld am Tod ihrer Tochter?

Jetzt beschäftigt sich das Oberverwaltungsgericht in Münster mit dem Fall. In der ersten Instanz hatte das Verwaltungsgericht Aachen im Oktober 2014 eine Entschädigung über 20.000 Euro nach dem Soldatenversorgungsgesetz abgelehnt. Das Gericht nannte den Einsatz der Offiziersanwärterin im Sanitätsdienst zwar lebensgefährlich, doch nicht besonders lebensgefährlich. Nach dem Gesetz ist dieser sprachliche Unterschied entscheidend. So hatten die Klagegegner argumentiert, das Schiff habe so ruhig im Wasser gelegen, dass es keine Schwimmwesten gebraucht habe. Die Eltern dagegen meinen, ihre Tochter sei bei widrigen Wetterbedingungen zu schlecht gesichert und zudem krank gewesen.

Das OVG in Münster wird diese Entscheidung nun am Mittwoch (10.15 Uhr) in mündlicher Verhandlung überprüfen und hat dazu neun Zeugen geladen. Darunter sind der damalige Kapitän und Schiffsarzt der "Gorch Fock". Auch soll ein Meteorologe zu den Wetterbedingungen während der Nachtwache befragt werden. Noch am selben Tag will das Gericht ein Urteil verkünden.

Im August hatte das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig ein Strafverfahren gegen den Schiffsarzt abgelehnt. Den Antrag der Eltern wegen des Vorwurfs des Totschlags und der Urkundenunterdrückung stufte das Gericht als unbegründet ein. Die Eltern werfen dem Arzt vor, er habe ihre Tochter in Kenntnis ihrer Unterleibsschmerzen und ihrer Neigung, häufig kurzzeitig einzuschlafen, pflichtwidrig nicht vom Dienst ausgeschlossen. Dies sei Ursache für das Überbordgehen gewesen. Das OLG sah dafür keine Belege. Die Kieler Staatsanwaltschaft sprach nach Abschluss der Ermittlungen von einem tragischen Unglück.

Fall wird verfilmt

Während die juristische Aufarbeitung des Falls noch läuft, wird der mysteriöse Tod der Kadettin verfilmt. Grimme-Preisträger Raymond Ley kümmert sich im Auftrag von NDR und ARD. Gezeigt werden soll der Fernsehfilm mit dem Arbeitstitel "Kalte Wasser" im ersten Halbjahr 2017. Hauptdarstellerin ist die bereits mehrfach ausgezeichnete Maria Dragus ("Das weiße Band"). (dpa)

September 2008: Die 18-jährige Jenny geht vor der Nordseeinsel Norderney während ihrer Nachtwache auf der "Gorch Fock" über Bord. Erst elf Tage später, nachdem die Suche nach der Offiziersanwärterin bereits abgebrochen worden ist, entdeckt die Besatzung eines Fischereiboots ihre Leiche.

Januar 2009: Der tödliche Sturz war ein tragisches Unglück, so die Erkenntnis der Kieler Staatsanwaltschaft nach umfangreichen Vorermittlungen. Die genauen Umstände bleiben im Dunkeln. Da sie keine Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten gefunden hat, leitet die Behörde kein Ermittlungsverfahren ein.

November 2010: Eine weitere Offiziersanwärterin stürzt bei einer Übung in Brasilien aus der Takelage in den Tod. Das Ausbildungsschiff gerät in eine Existenzkrise. Der Fall sorgt dafür, dass die Marine ihr Ausbildungskonzept überarbeitet.

Januar 2011: Nach Berichten über angebliche Missstände an Bord erstatten die Eltern von Jenny Böken Strafanzeige, um die Wiederaufnahme der Ermittlungen zu erzwingen.

Oktober 2011: Die Kieler Staatsanwaltschaft sieht keine neuen hinreichenden Anhaltspunkte für eine Wiederaufnahme.

Dezember 2013: Die Eltern haben die Bundesrepublik auf 40.000 Euro Entschädigung verklagt. Sie berufen sich nach Angaben des Verwaltungsgerichts Aachen auf das Soldatenversorgungsgesetz.

Oktober 2014: Das Verwaltungsgericht Aachen weist die Entschädigungsklage ab. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nimmt die im Juli 2012 von den Eltern eingereichte Beschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Schiffsarzt nicht an, wie erst im November bekannt wird.

August 2016: Das Oberlandesgericht Schleswig lehnt ein Strafverfahren gegen den Schiffsarzt ab.

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