Juncker macht Flüchtlingsnot zur Chefsache in der EU

Erneut sind am Wochenende im Mittelmeer Hunderte afrikanische Flüchtlinge ertrunken. Der Druck für eine politische Lösung wächst.

Die EU-Kommission drängt die Staaten der Europäischen Union nach dem Flüchtlingsdrama mit bis zu 950 Toten zum Handeln. „EU-Kommissionspräsident Jean- Claude Juncker glaubt, dass es keine Option ist, den Status quo aufrechtzuerhalten“, sagte ein Kommissionssprecher am Montag in Brüssel. „Es ist Zeit für eine gemeinsame Aktion, eine gemeinsame Antwort.“

Die EU-Kommission werde ihr angekündigtes Strategiepapier zur Migrationspolitik von Juni auf Mai vorziehen. Zum Inhalt machte der Sprecher keine Angaben. Bei einem Treffen von Vertretern der EU und der Afrikanischen Union (AU) soll am Mittwoch in Brüssel auch über Migration gesprochen werden.

Auch die Bundesregierung sieht dringenden Handlungsbedarf. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei tief bestürzt über den Tod der Bootsflüchtlinge.

Steinmeier warnt

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor allzu großen Erwartungen an das EU-Sondertreffen. Die EU müsse so schnell wie möglich dafür sorgen, dass nicht noch mehr Menschen im Mittelmeer umkämen, sagte er am Montag bei seiner Ankunft im Luxemburg. „Ganz schnelle Lösungen“ werde es aber sicherlich nicht geben, sagte er. „Viele haben die Suche nach Schuldigen schnell abgeschlossen, viele finden, dass die Europäische Union hier nicht genügend getan hat, aber ich glaube, wir müssen sehen, dass wir vor einer gewaltigen Aufgabe stehen.“

Die Hoffnung auf weitere Überlebende der Katastrophe im Mittelmeer schwindet zusehends. „Momentan gibt es nur 24 Leichen, aber nach den schrecklichen Erzählungen von Überlebenden scheint es, dass Menschen im Boot eingesperrt waren“, sagte der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi. Bei dem Unglück am Wochenende vor der libyschen Küste könnten weit mehr als 950 Menschen umgekommen sein. Die Leichen der 24 Migranten wurden am Montag nach Malta gebracht. Sie sollen obduziert und dann auf dem Inselstaat bestattet werden. An Bord des italienischen Rettungsschiffes „Gregoretti“ waren auch Überlebende, die nach Italien gebracht werden sollten.

Zivile Handelsschiffe helfen bei den Flüchtlingsdramen im Mittelmeer und retten Tausende Menschen. Die Besatzungen sind am Ende ihrer Kraft, berichtet ein Reeder aus Hamburg. Die Schifffahrt fordert dringend Hilfe von der EU. Der Hamburger Reeder Christopher E.O. Opielok führt ein kleines Unternehmen mit fünf Schiffen. Zwei davon sind im Mittelmeer als Versorgerschiffe eingesetzt und beliefern von Malta aus Öl- und Gasplattformen vor der libyschen Küste mit Betriebsmaterial. Aber die Besatzungen stehen zunehmend vor ganz anderen Herausforderungen: Seit Dezember haben die Schiffe des Reeders bei mehr als einem Dutzend Rettungseinsätze rund 1500 Flüchtlinge aus untergehenden Booten gerettet – und viele andere nicht retten können.

40.000 Menschen gerettet

„Unsere Besatzungen sehen die Menschen sterben; sie ertrinken vor unseren Augen oder erfrieren an Bord“, sagt Opielok. Viele der Seeleute seien am Ende ihrer Kraft und suchen sich einen anderen Job. „Wir sind auf die Rettungseinsätze nicht eingerichtet“, sagt Opielok. Die Schiffe fahren mit zwölf Mann Besatzung und nehmen teils mehrere hundert Flüchtlinge auf. Es fehlt an Platz, Sanitäreinrichtungen, Proviant, Medizin, Essen und Trinken. Handelsschiffe haben im vergangenen Jahr rund 40.000 Flüchtlinge aus Seenot gerettet. pk

Als Reaktion auf die zahllosen Flüchtlingstragödien im Mittelmeer hatte Italiens Regierung 2013 das Seenotrettungsprogramm "Mare Nostrum" ins Leben gerufen. Es hat Angaben aus Rom zufolge mehr als 100.000 Menschen vor dem Ertrinken bewahrt. Ziel des Einsatzes war es, Migrantenboote aufzuspüren und in einen sicheren Hafen zu eskortieren. Angesichts zunehmender Flüchtlingszahlen drang Italien jedoch darauf, dass die EU die Aufgabe übernimmt, zumal die meisten Migranten in andere EU-Staaten weiterreisen wollen.

Am 1. November 2014 wurde "Mare Nostrum" vom Programm "Triton" abgelöst, das unter dem Dach der EU-Grenzschutzagentur Frontex angesiedelt ist. Anders als bei "Mare Nostrum" sind die Schiffe von "Triton" nicht bis in libysche Gewässer, sondern nur vor der Küste Italiens unterwegs. Sie sollen die Grenzen überwachen und gegen Schlepper vorgehen, aber nicht aktiv nach Flüchtlingen suchen.

Das monatliche Budget beträgt 2,9 Millionen Euro. Das ist nur ein Drittel dessen, was Italien in "Mare Nostrum" investiert hatte. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl halten Umfang und Budget des Einsatzes für zu gering und befürchten, dass die Zahl der Opfer auf hoher See weiter steigen wird. dpa

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