Hintergrund: Windkraft versickert in den Stromnetzen

Mittlerweile sind viele Windparks einsatzbereit – was vielfach fehlt, ist die Vernetzung mit den Leitungssystemen an Land, Foto: Wilderwind
Der Ausbau der Windenergie läuft auf Hochtouren. Während die Windparkbetreiber bei den Netzanschlüssen im Plan sind, stockt aber die Weiterleitung ins Landesinnere.
Im August startete der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz in Lubmin mit dem Bau des Anschlusses für drei Windparkprojekte in der Ostsee. Allenthalben werden Konverterplattformen eingehoben, Seekabel verlegt und Umspannstationen an Land fertiggestellt.
Die deutsche Wirtschaft und die Privathaushalte könnten sich eigentlich freuen. Doch spätestens wenn der auf See produzierte Strom die norddeutschen Küstenländer verlassen soll, beginnen die Probleme. Durch den starken Zubau an Windparks stößt das Stromnetz im Norden an seine Grenzen.
Knapp 50.000-mal mussten Umspannwerke in Schleswig-Holstein im Mai ihre Leistung reduzieren. Die Windparkbetreiber werden jedoch über die EEG-Umlage entschädigt. Schon im Jahr 2013 blieben laut Angaben der Bundesnetzagentur deutschlandweit 555 Gigawattstunden an erneuerbaren Energien ungenutzt, weil die Hochspannungsleitungen überlastet waren. Das entspricht 0,5 Prozent von deren Gesamtleistung. Neuere Zahlen gibt es noch nicht. Doch die Kurve weist offenbar steil nach oben. „Wir haben den Jahreswert von 2014 im ersten Quartal 2015 schon erreicht“, schätzt der Leiter des Geschäftsbereichs Netztechnik bei der Schleswig-Holstein Netz AG, Joachim Kabs.
Der Netzausbau hechelt dem Boom der erneuerbaren Energien hinterher. Denn Leitungen dürfen erst geplant werden, wenn der Bedarf feststeht, damit keine unnötigen Trassen entstehen. Meist sind die Windparks längst gebaut, während Klagen von Anwohnern den Bau von Hochspannungsmasten noch über Jahre verzögern. Die Abschaltungen haben allerdings auch andere Gründe. Laut Stromnetzbetreiber TenneT wehte der Wind in den Monaten seit Herbst besonders stark. Das trug zum schnellen Anstieg der Strommenge bei. Regelmäßig müssen derzeit auch Leitungen vom Netz, weil Umspannwerke gerade ausgebaut und damit fit für die Zukunft gemacht werden.
Fehlende Trassen
Doch das große Problem sind aus Sicht der Experten ausgerechnet die großen Stromautobahnen mit Höchstspannungen von 220 und 380 Kilovolt, für die TenneT zuständig ist. Innerhalb Schleswig-Holsteins geht es allmählich voran. Die Landesregierung drängt auf einen schnellen Neubau von zwei Trassen an der Westküste und in Ostholstein. Außerdem wird die Mittelachse zwischen Flensburg und Rendsburg in den kommenden Jahren verstärkt.
Das Land kann voraussichtlich schon bald bei Wind und Sonne das Zehnfache des Eigenbedarfs produzieren. Zusätzlich landen in Dithmarschen mehrere Gigawatt der Offshore-Windparks an. Nach Jahren des Wartens sind jetzt die Projekte „DanTysk“, „Butendiek“ und „Nordsee-Ost“ vor Sylt und Helgoland weitgehend in Betrieb. Und das ist erst der Anfang.
Umstrittene „Südlink“
Die Lösung heißt „Südlink“, doch sie lässt auf sich warten. Dabei handelt es sich zunächst um zwei Kabel, die Nord- und Süddeutschland verbinden. Eines davon soll in Wilster starten und nach Bayern führen. Ein zweites ist von Niedersachsen nach Baden-Württemberg geplant. Doch Anwohner entlang der Strecke protestieren. Sie fordern ein Erdkabel statt hoher Masten. Technisch ist das bei langen Punkt-zu-Punkt-Verbindungen machbar – nach Angaben von TenneT aber teurer.
Widerstand aus Bayern
Außerdem torpediert Bayern die Pläne. Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) erntete jüngst massiven Widerstand nach ihrer Forderung, „Südlink“ solle zwar dringend benötigten Strom für die Wirtschaft nach Bayern bringen, die Trassen sollten aber weitgehend durch die Nachbarländer Hessen und Baden-Württemberg laufen, so dass in Bayern nur Übergabepunkte entstehen müssten. Die Landesregierungen waren nicht begeistert, und in der Energiebranche erntete Aigners Vorstoß nur Kopfschütteln. Dass „Südlink“ plangemäß bis 2022 bereitstehen soll, erscheint zunehmend ambitioniert. Dabei sind im Netzentwicklungsplan bereits drei weitere „Südlink“-Trassen ab Heide, Segeberg und Brunsbüttel bis 2034 skizziert, denn der Bedarf steigt kontinuierlich. Für die kommenden Jahre rechnen die Experten deshalb damit, dass der Anblick von stehenden Windrädern in Schleswig-Holstein zum gewohnten Bild wird. Es könnte sein, dass die Mitarbeiter der Leitstelle Schleswig-Holstein Netz AG in den kommenden Jahren weiterhin viele Megawatt von den Leitungen nehmen müssen.