Wunsch, Plan und Wirklichkeit
Endlich wieder mal ein analoges Gefühl nach einer gefühlten digitalen Ewigkeit: Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) hatte dieser Tage kurzfristig zu einem Ortstermin in den Hafen eingeladen, um gemeinsam mit Entscheidern und Machern aus dem Elbe-Hafen über ein Projekt zu informieren, das nicht nur extrem wichtig für Hamburg ist, sondern das auch richtig ins Geld geht und das mit vielen Frustrationen, Irritationen und Emotionen verbunden ist.
Die Rede ist von der Elbvertiefung, oder wie es sperriger heißt „Fahrrinnenanpassung“. Seit Juli 2019 wird gebaggert. Vor drei Wochen sorgten die Richter am Bundesverwaltungsgericht dafür, dass auch die letzten Rechtsunsicherheiten rund um das Jahrhundertvorhaben aus der Welt geschafft wurden. Zur tiefen Enttäuschung der Umweltverbände, die 2018 mit einer weiteren Klage doch noch versucht hatten, das Projekt auf der letzten Meile doch noch zu kippen. Der Hafensenator verbreitete indes an Bord der Hafenbarkasse vor allem das: Zuversicht. Seine Botschaft des Tages: „Wir sind im Plan.“
Diese Einschätzung ist relativ, denn zwischen der Beantragung der Baumaßnahme beim Bund durch die Stadt Hamburg im Jahr 2002 und dem Bagger-Beginn verstrichen 17 Jahre. Das war so nicht geplant. Eine Folge dieser langen Wegstrecke ist, dass die Kosten in die Höhe schossen. Aktuell ist von 800 Millionen Euro die Rede. Umweltschützer schieben sogar schon mal 900 Millionen Euro auf die öffentliche Bühne. Was es am Ende sein wird: In zwei Jahren dürfte darüber Gewissheit bestehen. Tatsache ist auch, dass sich in den 17 Jahren bis zum Baustart sehr viel in der der globalen Schifffahrt und Seehafenverkehrswirtschaft verändert hat. Die Weltcontainerschifffahrt erlebte ein in dieser Dynamik und Form unerwartetes Größenwachstum. Mit dem Lehman-Bank-Zusammenbruch 2008 und dem Corona-Ausbruch zu Beginn dieses Jahres gibt es zwei Ereignisse, die niemand geplant hatte. Was diese Seuche für die maritime Branche alles verändern wird, lässt sich derzeit nicht prognostizieren. Erkennbar ist nach wenigen Monaten Corona indes das: Vieles von dem, was im seewärtigen Warenverkehr einst durch viele kluge Köpfe geplant war, wird so nicht – mehr– stattfinden.
Zurück an die Elbe: So sehr sich ein Senator Westhagemann über die Erfolge beim Elb-Vertiefungs-Fahrplan freut - die Begeisterung wird überlagert von Negativ-Meldungen. Dass nämlich ein Hafen wie Hamburg in den kommenden Jahren zwar noch Wachstum beim Seegüterumschlag erleben dürfte, dass diese aber eher mager ausfallen dürften. So werden dem Containerumschlag im besten Fall um die 13 Millionen TEU zugebilligt, aktuell sind es etwas über 9 Millionen Standardkisten.
Die Quelle für diese Meldungen soll eine Studie sein, die aus dem Hause HPA stammen soll, die bislang aber noch nicht veröffentlicht wurde. Die Meldungen über die stark reduzierten Prognosen lösten bei den Umweltverbänden wie erwartet Begeisterung aus. Frei nach dem Motto „Wir haben es ja schon immer gewusst.“ Und auch deshalb waren und sind wir gegen die Elbvertiefung. Eine solche Reaktion gehört natürlich zum Standardprogramm aus dem „grünen“ Lager. Das ist auch klar.
Westhagemann muss in seiner Wirtschaftsbehörde jetzt Tempo machen beim Projekt Hafenentwicklungsplan (HEP). Der derzeit gültige ist nach nicht einmal zehn Jahren nicht nur fällig, sondern vor allem hinfällig. Die darin verankerten Umschlagmengen sind nicht mehr unerreichbar. Die Hafenwelt von morgen, und zwar nicht nur an der Elbe, sondern überall auf dem Globus, steht vor gewaltigen Umbrüchen. Diesen Entwicklungen müssen sich die Macher des Hafens stellen, um ihm seine Zukunftschance zu erhalten.
Technische Entwicklungen wie der 3-D-Druck werden schon in naher Zukunft dazu führen, dass viele Teile und Produkte, die bislang noch in Boxen rund um die Welt transportiert werden, etwa in 3-D-Druckzentren in Hamburg lokal erzeugt werden können. Das kostet in der Langfrist-Perspektive viele, viele Containermengen. Neu- und Umstrukturierungen mit bisher überhaupt nicht absehbaren Folgen kommen auf die Häfen zu. Da muss man sich rechtzeitig positionieren und Alternativen suchen.
Michael Westhagemann und die Experten aus seiner Behörde müssen nun schleunigst einen neuen HEP erstellen, der zwar einen gewissen Handlungsrahmen aufzeigt, der aber das ist, was man gerne ein „atmendes Dokument“ („living document“) ist. Er muss nicht starr Richtungen vorgeben, sondern flexibel sein, damit er schnell auf neue Entwicklungen angepasst werden kann. Wichtiger denn je wird es sein, den HEP gemeinsam mit der Wirtschaft, aber auch mit anderen Interessenpartnern zu erarbeiten, in der Ausführung zu begleiten und gegebenenfalls rasch anzupassen. Nur so wird man alle Beteiligten mitnehmen können.
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