SECA: Maritime Wirtschaft moniert Fehler
Zwar hat es seit Inkrafttreten der neuen SECA-Bestimmungen in Nord- und Ostsee sowie Nordamerika noch keine genau zu bemessenden Verkehrsverlagerungen gegeben. Die maritime Wirtschaft kritisiert aber trotzdem zahlreiche handwerkliche Fehler an den 2006 auf IMO-Ebene beschlossenen Maßnahmen.
Dies war ein bestimmendes Element der 8. Maritimen Konferenz (mariLOG), einer Veranstaltung der DVV Media Group, die am Dienstag in München im Rahmen der Weltleitmesse „transport logistic“ stattfand und von Sebastian Reimann, Mitglied der Chefredaktion der THB-Schwesterpublikation DVZ (Deutsche Verkehrs-Zeitung), moderiert wurde. Prof. Dr. Sebastian Jürgens, Mitglied der Geschäftsführung der Lübecker Hafen-Gesellschaft (LHG), widmete sich in einem kurzen Impulsvortrag den neuen Emissionsbestimmungen, die im Kern die ausschließliche Verwendung von Treibstoffen mit einem Schwefelgehalt von nur noch 0,1 Prozent verlangen. Ein wichtiger Kritikpunkt von Jürgens: die einseitige Festlegung in Europa auf den Bereich Nord- und Ostsee – wobei für die Irische See wiederum Sonderbedingungen gelten, das heißt ein Schwefelgehalt von 3,5 Prozent. Hingegen sei das verkehrsstarke Mittelmeer nicht mit einbezogen worden, und das werde voraussichtlich auch noch einige Jahre so bleiben.
Ein anderer Kritikpunkt: Auch die Abgasreinigungstechnik mittels sogenannter „Scrubber“ sei in puncto Umweltschutz nicht das Gelbe vom Ei. Vor allem die „nassen Systeme“ bewertete Jürgens kritisch. Denn im Grunde genommen würden die aus der Abgasluft herausgefilterten Schadstoffe am Ende des Prozesses ins Meerwasser geleitet; für den LHG-Manager ein fragwürdiger Beitrag zum Umweltschutz. Auch das stört Jürgens: Der Lkw, gerade in den Ostseeverkehren mit seinen zahlreichen küstenparallelen Fährschiffrouten der Hauptmitbewerber, werde durch SECA indirekt gestärkt. Die seit Monaten bestehenden niedrigen Dieselpreise begünstigten ihn und förderten damit die Rückverlagerung von Seeverkehrsmengen auf die Straße. Last but not least: Jürgens bemängelte massiv, dass es vor Inkrafttreten der Bestimmungen keine wissenschaftlich fundierte Simulation unter anderem hinsichtlich der volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Bestimmungen gegeben habe. Und das, obwohl es dafür entsprechende Simulationsmethoden bereits seit Jahr und Tag gebe.
Torsten Westphal, Geschäftsführer der Arkon Shipping aus Haren/Ems, kritisierte, dass das Inkrafttreten der SECA-Bestimmungen vollzogen wurde, obwohl die Weltschifffahrtsbranche seit Ende 2008, ausgenommen von einem kurzen Zwischenhoch, weiterhin in einem wirtschaftlich schwierigen Fahrwasser operiere. Der Einbau von Scrubbern komme gerade für viele kleine und mittelgroße Reedereien, einem Kern der deutschen Flotte, nur begrenzt infrage. Der entscheidende Grund: Sie bekommen die Finanzierung dafür nicht auf die Beine, weil die Banken nur begrenzt mitspielen und zum Beispiel als einen Beitrag zur Refinanzierung langjährige, substanzielle Charterverträge verlangen. Doch die gebe es unter den weiterhin angespannten Marktbedingungen nicht.
Schon gar nicht gebe es seitens der potenziellen Charterer so etwas wie eine Art Scrubber-Bonus. Für ein Unternehmen wie Arkon, dessen Tonnage sehr stark im Kurzstreckenseeverkehr zum Einsatz kommt, habe das unter anderem zur Folge gehabt, dass zahlreiche Schiffe aus dem Bereich Nord- und Ostsee abgezogen und in andere Seegebiete verlagert werden mussten, in denen SECA noch keine Rolle spiele. Auch andere Anbieter seien diesem Beispiel gefolgt.
Die Scrubber-Nachrüstung lohne sich überdies nur für vergleichsweise junge Schiffe, das heißt mit einem Alter im einstelligen Bereich. Für Westphal ist der Abgaswäscher daher nichts anderes als bestenfalls eine Übergangstechnologie. „Als Branche müssen wir erkennen, dass das Schwerölzeitalter zu Ende geht.“ Sein Unternehmen setze daher mittel- und langfristig auf neue Treibstoffe und Antriebskonzepte, darunter auch LNG.
Hanns Heinrich Conzen, Geschäftsführer der TT-Line, gehört ebenfalls zu den Kritikern der ersten Stunde an der Art und Weise, wie die SECA-Bestimmungen in Europa umgesetzt wurden. So stellt etwa der Sonderfall „Irische See“, in der weiterhin 3,5 Prozent Schwefelgehalt erlaubt sind, für Conzen ein Ärgernis dar. Statt den massiven Schritt in Richtung 0,1 Prozent zu gehen, hätte man beispielsweise in einem Übergangsschritt den Wert, der weiterhin für die Irische See gilt, nehmen können. Die Reederei verwendet in ihrer Flotte derzeit MGO-Treibstoff (Marine Gas Oil). Lediglich ein Schiff kann weiter mit herkömmlichem Schweröl fahren, da es mit einem Scrubber ausgerüstet wurde. Kosten: rund acht Millionen Euro.
Die bislang gesammelten Einsatzerfahrungen mit dem Abgasreiniger seien „gut“. Aktuell prüfe sein Unternehmen, ob noch weitere Schiffe der Flotte damit nachgerüstet werden könnten, da diese Tonnage noch jung sei und zudem von vornherein für einen sehr wirtschaftlichen Betrieb ausgelegt war. Scrubber sieht Conzen als eine Art Übergangstechnologie, mittels derer die Bestandsflotte in die Lage versetzt werde, für die Reederei das Geld einzufahren, mit dem zu einem späteren Zeitpunkt Ersatztonnage bestellt werden könnte. Und deren Antriebstechnik werde sich von der heutigen unterscheiden, ist auch Conzen überzeugt.
Dass es bislang noch nicht zu großen Preisverwerfungen und damit gravierenden Marktanteilsverschiebungen zulasten der Schifffahrt in Nord- und Ostsee gekommen sei, dafür sorge unter anderem der weiterhin niedrige Ölpreis. Eine Entwicklung, die so keiner vorausgesehen habe. Allerdings: Es sei nicht ratsam, darauf dauerhaft zu setzen, mahnte Conzen.
Jens B. Knudsen, geschäftsführender Gesellschafter von Sartori & Berger aus Kiel, gehört ebenfalls zu denen, die SECA in seiner aktuellen Ausprägung nichts Positives abgewinnen können. Auch er rechnet den Lkw zu den Gewinnern dieser Bestimmungen. Für ihn nicht nachvollziehbar, trete doch die EU-Kommission seit Jahren für mehr „Road to Sea“ ein. Auch das führte der Schifffahrtsexperte an: Ihn sorgen die mittlerweile zahlreichen Berichte über Motorausfälle in den Schiffen, was besonders kritisch sei etwa bei An- und Ablegemanövern. Eine Ursache dafür seien Verunreinigungen in den Treibstoffleitungen.
Für die Speditions- und Logistikwirtschaft beleuchtete Marco Lütz, Geschäftsführer der Bruhn Spedition in Lübeck, den Sachverhalt. Sein Unternehmen verfolgt seit vielen Jahren bei der Umsetzung seiner Logistikkonzepte einen intermodalen Ansatz, also Straße, Bahn und Seeschiff. Auch Lütz hält tendenziell Rückverlagerungen von Seetransporten auf den Lkw für realistisch, zumal dann, wenn sich der Schiffstransport als Folge von Veränderungen bei den Treibstoffkosten deutlich verteuere. Zwar bedauert er das aus der Sicht eines Intermodal-Operators. Auf der anderen Seite seien es seine Auftraggeber, die auf seinen Gestaltungsspielraum bei den offerierten Transportkonzepten über den Preis massiv Einfluss nähmen.
Wolfram Guntermann, als Direktor bei Hapag-Lloyd verantwortlich für den Bereich Umweltschutz in der Flotte, wich bei seinen Bewertungen zu SECA zum Teil deutlich von den Positionen der übrigen Diskussionsteilnehmer ab. Die Reedereiwirtschaft habe schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt von den Absichten der IMO beim Thema Luftreinhaltung in der Schifffahrt gewusst. Doch hätten viele aus der Branche das nach seiner Wahrnehmung zunächst nur halbherzig verfolgt. Als Reeder müsse man jedoch vorausschauend planen, und dazu gehöre auch die Einbeziehung der Luftschadstoffreduktion in der Schifffahrt. Im Übrigen erweiterte Guntermann den verengten Blick auf Nord- und Ostsee. Tatsache sei, dass zum Beispiel in den USA inzwischen eine Vielzahl von Auflagen beschlossen und umgesetzt worden seien, die die Schifffahrt zu erfüllen habe, wolle sie weiterhin diesen Markt bedienen. Guntermann nannte beispielhaft die Landanschluss-Verpflichtungen etwa in Los Angeles.
Auch in Asien greife das Thema. So würden vom 1. Juli an im Hafen von Hongkong alle Schiffe, deren Liegezeit über zwei Stunden hinausgehe, dazu verpflichtet, während der Hafenliegezeit Treibstoff mit einem Schwefelgehalt von 0,1 Prozent zu verwenden. Er sei davon überzeugt, dass es bei diesem Einzelschritt und nur diesem Hafen nicht bleiben werde. Den Reedereien riet Guntermann, einen intensiven Dialog zu den Entscheidern in Sachen Umweltschutzauflagen für die Schifffahrt zu pflegen. Denn nur wenn man frühzeitig über geplante Maßnahmen informiert sei, könne man darauf auch gestaltend einwirken.
Der Diskussionsverlauf zeigte vor allem eines: Die Schifffahrtsbranche muss sich intensiv mit dem Umweltschutz beschäftigen, wobei die Luftschadstoffe nur ein Aspekt sind. Wichtige Stichworte in diesem Zusammenhang sind außerdem Ballastwassermanagement, Landstromversorgung oder umweltgerechte und zertifizierte Entsorgung von Schiffen. Genügend Stoff also für künftige mariLOG- Konferenzen. EHA