Neue Lotsenausbildung stellt Qualität sicher

Wenn am Donnerstag in Kiel rund 250 Vertreter des deutschen Seelotswesens zu ihrer planmäßigen Jahreshauptversammlung zusammenkommen, dann findet sich auf der Tagesordnung zwar nicht explizit das aktuelle Weltthema „Der Coronavirus, seine rasante Ausbreitung und die möglichen Folgen“.

„Doch natürlich beschäftigen sich die Kollegen damit, und auch ich werde auf diesen Aspekt im Verlauf der Veranstaltung eingehen“, sagt Kapitän Erik Dalege, Vorsitzender der Bundeslotsenkammer, im THB-Gespräch.

Der gebürtige Bayer steht seit August 2018 an der Spitze dieser Einrichtung, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Als solche ist sie die gesetzliche Interessenvertretung der verschiedenen Lotsenbrüderschaften. Entlang der verschiedenen Reviere an der deutschen Nord- und Ostseeküste gibt es insgesamt sieben Lotsenbrüderschaften. Sie gemeinsam gewährleisten die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs in deutschen Hoheitsgewässern und den individuellen Revieren, und zwar in Gestalt der Formel „365/24/7“. Dalege: „Die Dienstleistung, die unsere Lotsenkollegen erbringen, stellt eine Daseinsvorsorge par excellence dar. Und das muss in Zukunft so bleiben.“

Auch das Beschäftigen mit dem inzwischen von Gesundheitsexperten aus aller Welt als äußerst ansteckend und aggressiv eingestuften Virus „SARS-CoV-2“ fällt dann im übertragenen Sinn in die Daseinsvorsorge, die die Bundeslotsenkammer in enger Abstimmung mit den Lotsenbrüderschaften zu erbringen hat. Denn Lotsen haben, wenn sie an Bord gehen, um zum Beispiel einen Containerfrachter von der Deutschen Bucht aus nach Hamburg zu begleiten, einen Sofortkontakt zur jeweiligen Besatzung.

Auf der anderen Seite gebe es natürlich schon einige vorgeschaltete Sicherheitsschleusen. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Schiffsführung eines Frachters mindestens 24 Stunden vor dem Eintreffen eine Pflichterklärung abgeben muss, die „Seegesundheitserklärung“. In ihr erklärt der Kapitän verbindlich, dass es an Bord keine ansteckenden Krankheiten gibt. Dalege: „Er ist hier zur Wahrheit verpflichtet. Und alle, die mit dem Schiff zu tun haben, also auch wir Lotsen, nehmen diese Unbedenklichkeitserklärung auch als solche an.“ Und weiter: „Wir verfolgen das Gesamtgeschehen aufmerksam, raten aber auch unseren Kollegen dazu, weiter in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen. Die mittlerweile vorliegenden Empfehlungen zum persönlichen Gesundheitsschutz werden eingehalten.“

Auf der Mitgliederversammlung in Kiel wird es auch in diesem Jahr vertiefend um die verschiedenen Herausforderungen gehen, vor denen das deutsche Lotsenwesen mittel- und längerfristig steht. Ein Stichwort: die Personalentwicklung und damit -ausstattung der jeweiligen Lotsenbrüderschaften. Aktuell sind unter dem Dach der Bundeslotsenkammer 815 Seelotsen, verteilt auf die entsprechenden Brüderschaften, vereint.

Hinzu kommen die Hafenlotsen aus Hamburg und Bremerhaven, zusammen etwa 90 Kollegen, deren Brüderschaften allerdings nicht Teil der Bundeslotsenkammer sind. Eine Tatsache, die historisch so gewachsen ist. Aktuell ist es so, dass jährlich zwischen zehn bis 15 Seelotsen aus dem Berufsleben ausscheiden, in der Regel dadurch, dass sie in den Ruhestand gehen. Denn: „Bei uns ist mit dem Erreichen des 65. Lebensjahres Schluss“, ergänzt Dalege. Doch bereits ab 2023 und in den Folgejahren wird der Substanzverlust höher ausfallen. Dalege legt diese Berechnungen vor: Ab 2023 werden es jährlich zwischen 25 bis 30 Kollegen sein, danach sogar 40 Nautiker. Bis 2030 wird das deutsche Seelotswesen im Vergleich zum heutigen Bestand rund 325 Kollegen weniger haben. Mit anderen Worten: Die demografische Entwicklung macht also auch vor diesem Berufsstand nicht halt.

Weil diese Zahlen nicht überraschend vorliegen, hat sich die Bundeslotsenkammer schon vor einigen Jahren mit der Frage beschäftigt, wie es möglich sein wird, den Personalbedarf der Zukunft zu decken und damit auch den hohen Qualitätsstandard des deutschen Lotswesens zu erhalten. Dalege: „In der Vergangenheit und auch heute noch ist es ja so, dass der Lotse das ist, was wir einen klassischen ,Sekundärberuf‘ nennen. Was bedeutet: Wer Lotse geworden ist oder werden will, hat davor eine entsprechende Ausbildung in der Handelsschifffahrt durchlaufen, um dann für etliche Jahre zur See zu fahren, in der Bordhierarchie aufzusteigen und durch die verschiedenen Aufgaben so etwas wie seine eigene Persönlichkeitsbildung durchlebt.“ Dieser klassische Weg verändere sich inzwischen allerdings. Ein Stichwort in dem Zusammenhang: der Substanzverlust in der deutschen Handelsschifffahrt, der sich mit der Schifffahrts- und Bankenkrise ab 2008/2009 noch einmal beschleunigt hatte. Erst dieser Tage hatte der Verband Deutscher Reeder (VDR) bekannt gegeben, dass deutsche Unternehmen in dem Zeitraum fast ein Drittel ihrer Flotte verloren haben.

Die intensive Suche nach einem „Ersatz-Lotsennachwuchs-Konzept“ führte schließlich zu einem Ergebnis. Dalege: „Als Lotsen setzen wir auf einen neuen Ausbildungsweg, der allerdings am Ende trotzdem sicherstellen wird, dass unser hohes Qualitäts- und Sicherheitsniveau erhalten bleibt. Es geht im Kern um einen berufsintegrierten ,Master-Studiengang‘, in dem auch und gerade das Erlernen der sozialen und fachlichen Kompetenzen vermittelt wird. Das Weitere muss dann die Berufspraxis als Lotse bringen. Gerade auch die älteren Kollegen werden da gefordert sein, um dem Nachwuchs gewissermaßen kameradschaftlich unter die Schultern zu greifen.“

Für Dalege, der den Beruf des Seemanns von der Pike auf erlernte – Start als Matrosen-Lehrling bei der bekannten Hamburger Reederei Ahrenkiel 1980 –, ist es für junge Nautiker weiterhin sehr interessant, die eigene Karriere mit dem Lotsenberuf zu veredeln. Dalege weiter: „Für mich persönlich gibt es klare Gründe, sich für eine Zusatzausbildung zum Lotsen zu entscheiden: die Freude, eine besondere Verantwortung zu übernehmen, das Interesse und den Willen, sich mit Menschen anderer Kulturen zu einer Arbeitsgemeinschaft auf Zeit schnell zusammenzufinden, eine flexible Ausgestaltung der Arbeitszeit und am Ende auch interessante Verdienstaussichten.“ Was letztgenannten Aspekt betrifft, so gilt dieser Richtwert: Ein Seelotse kommt im Monat auf ein Gehalt, das sich an der Heuer eines Kapitäns orientiert. Hinzu kommt eine gute Sozialabsicherung. Kurzum: Lotse sein rechnet sich auch in monetärer Hinsicht.

Und was das Thema Lotsennachwuchs generell betrifft, da hat Dalege, Vater von drei Kindern, diesen Wunsch: „Dass sich in Zukunft noch viel mehr Frauen dafür entscheiden, Lotse zu werden.“ Immerhin: Gerade die großen Reedereien werben ihrerseits intensiv dafür, dass „Frau Kapitän“ in wenigen Jahren eine ganz normale Anrede auf der Brücke ist. Die Zahl der Frauen, die sich für ein Nautik-Studium entscheiden, steigt kontinuierlich. An einem Punkt wollen die Lotsen allerdings nur wenig verändern: am Höchsteintrittsalter für Lotsen-Bewerber. Das liegt derzeit bei 40 Jahren. Dalege: „Die Ausbildung zum Lotsen ist aus nachvollziehbaren Gründen zeitintensiv und auch nicht ganz preiswert. Wenn die Kollegen dann ihre Bestallungsurkunde erhalten, sind sie, unterstellt, sie beginnen mit 40 Lebensjahren, um die 42 bis knapp 43 Jahre. Und bei 65. Jahren liegt die Altersgrenze.“ Kommt hinzu, dass der Lotsenberuf auch aufgrund des Rund-um-die-Uhr-Charakters besondere Anforderungen an die physische und auch die psychische Kraft des Einzelnen stellt. Das Wort von der „Standfestigkeit“ ist da wörtlich zu nehmen.

Top ausgebildete Lotsen sind auch deshalb so wichtig, weil Dalege, wie auch seine Berufskollegen aus anderen Teilen Europas, seit Jahr und Tag mit wachsender Sorge miterlebt, wie der Qualitätsstandard bei den Besatzungen aus Nicht-EU-Staaten doch immer mehr zu wünschen übrig lässt. Der Chef der Bundeslotsenkammer kann auch deshalb seine persönlichen Erfahrungen „europäisieren“, weil er über seine ehrenamtliche Position als Vizepräsident des Dachverbandes der Europäischen Seelotsen (EMPA) genau diese Erfahrungen ebenfalls vermittelt bekommt. Was die „Personalgüte“ an Bord der zu lotsenden Schiffstypen angeht, haben sich unter den Kollegen im Laufe der Zeit gewisse „Erfahrungswerte“ herauskristallisiert. Top-Zustände herrschen etwa an Bord von Kreuzfahrtschiffen, wo auf der Brücke neben dem Kapitän weitere Offiziersdienstgrade und natürlich ein klar definierter Rudergänger aktiv sind. Da sei es für den Lotsenkollegen mitunter schon wichtig, seine Daseinsberechtigung als Berater des Kapitäns klar herauszustellen, „um nicht am Katzentisch zu enden“, wie Dalege augenzwinkernd anmerkt. Ein ganz anderes Bild böte sich dann wieder auf vielen Bulkern unter Billigflagge.

Auch ein wichtiges Thema: die Flotte der Lotsenversetzer. Damit die Lotsen sicher die zu begleitenden Schiffe erreichen und diese auch wieder verlassen können, werden zuverlässige Fahrzeuge benötigt. Darum kümmert sich der sogenannte „Lotsbetriebsverein“. Dem steht die Bundeslotsenkammer vor. Um die 430 Mitarbeiter sind für diesen Betriebsverein tätig, der wiederum eine Flotte von 34 Einheiten, stationiert an Ost- und Nordsee, technisch betreut. Die Fahrzeuge sind technisch in Bestzustand und zeichnen sich durch eine lange Verweilzeit in der Flotte aus. 20 bis 30 Jahre sind hier die Regel. Einige werden sogar noch älter.

Eben weil die Einsatzdauer so lang ist, gilt es bei den absehbaren Ersatzbeschaffungen schon jetzt zum Beispiel an neue, umweltfreundlichere Antriebskonzepte zu denken. Dalege: „Das Thema Umweltschutz in der Schifffahrt steht einfach auf der Tagesordnung. Dem können auch wir als Lotsen uns nicht entziehen. Bei uns reifen Konzepte von Versetzfahrzeugen, die zum Beispiel mit Batterie- oder auch mit Brennstoffzelle betrieben werden.“ Bei den Antrieben der Zukunft ist es dann wie beim Lotsenwesen an sich: Es kommt auf eine absolute Verlässlichkeit an. EHA

 Erik Dalege

  • 1962: geboren
  • 1980: Matrosen-Ausbildung
  • 1986–2002: nautische Ausbildung, Offizierstätigkeit
  • 2002: Bestallung als Elblotse
  • 2006–2018 Lotsentätigkeit
  • seit 2018 Vorsitzender Bundeslotsenkammer
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