Mit der „Vorwärts“ ging die Seereise los

Die Seefahrt war in der DDR ein Tor zur Welt. Wem nicht ausdrücklich aus ideologischen oder gesundheitlichen Gründen das Seefahrtsbuch verwehrt wurde, dem eröffneten sich mit dem Beruf des Seemanns die weiten Horizonte jenseits des scharfen Grenzzauns in der anderen deutschen Republik.

Unter welchem Segel man in See stechen wollte, oblag jedem Interessenten selbst. Zwei große Flotten warben um die Gunst seetauglicher Männer und Frauen. Die Deutsche Seereederei Rostock (DSR), die in der Spitze rund 200 Schiffe unterhielt, und die Hochseefischerei mit zeitweilig mehr als 100 Fang- und Verarbeitungs- sowie Transportschiffen.

Während die Hochseefischer überdurchschnittlich gut Geld verdienten – sie waren zum Beispiel auch durch eine Fangprämie an den Ergebnissen der Fischzüge beteiligt – gelangten die „Geradeausfahrer“, wie die Kollegen der DSR wenig schmeichelhaft genannt wurden, über ein globales Netzwerk von Linien- und Trampschifffahrt in nahezu alle Ecken der Welt.

Sie befuhren die Ozeane und Meere im Staatsauftrag. Nach Ausrufung der Republik im Oktober 1949 war der DDR ökonomisch daran gelegen, sich mit einer eigenen Handelsflotte unabhängig zu machen im seeseitigen Ex- und Import von Waren und Gütern. Zudem trugen Seetransporte im Auftrag ausländischer Kunden dazu bei, dringend benötigte Valuta in die Staatskasse zu spülen.

Beschäftigte die DSR nach ihrer Gründung am 1. Juli 1952 mit dem ein halbes Jahrhundert zuvor auf der Rostocker Neptun Werft gebauten Frachter „Vorwärts“ (ex „Grete Cords“) zunächst uralte Tonnage, wurde die Flotte ab Mitte der 1950er-Jahre schrittweise und konsequent erweitert. Einen Meilenstein bildeten damals die Typ-IV-Schiffe. Die zwölf auf der Warnow-Werft in Warnemünde gebauten Frachter (jeweils 13.000 tdw) ermöglichten fortan Reisen bis nach Fernost. Sie galten als besonders seetüchtig. Die „Dresden“ aus der Typ-IV-Serie erzählt heute als Traditionsschiff in Rostock auch die Geschichte von der Aufbruchsphase der DSR.

Bis Ende der 1970er Jahre entwickelte sich das staatliche Schifffahrtsunternehmen zu einer der weltweit größten Universalreedereien. Im Flottenregister fanden sich Frachtschiffe aller Art. Vom Bulker über Stückgutfrachter, Fruchtschiffe, Tanker bis hin zu Semicont- und Containerfrachter sowie RoRo-Schiffe. Auch bereederte die DSR die Urlauberschiffe des Arbeiter-und-Bauern-Staates. Darunter die „Arkona“ (ex „Astor“), die vor dem Verkauf in den Osten als ZDF-Traumschiff zu Fernsehruhm gelangt war.

Zunehmende wirtschaftliche Probleme in der DDR in den 1980er-Jahren und der verstärkte Trend zur Containerschifffahrt brachten die DSR unter Druck. Die Flotte wurde deutlich reduziert und in moderne Schiffe investiert.

Obwohl die DSR unter besonderer Kontrolle von Staat und Staatssicherheit stand, besaß die Reederei einen hohen Identifikationsgrad vor allem unter den Rostockern. Zu sehr war die DSR mit dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben in der Stadt verwoben. Umso mehr bewegte nicht nur die Beschäftigten an Land und auf See, wohin nach der Wende in Ostdeutschland die Reise gehen würde. 1990 hatte die DSR 168 Schiffe in Fahrt und 6800 Seeleute in Heuer.

Mit der D-Mark brachen in der DDR-Wirtschaft zuerst die traditionellen Ost-Geschäfte weg. Es war der Preis für die „harte Währung“. Sofort stellte die DSR die „Staatslinien“ nach Kuba, Vietnam sowie nach Leningrad (heute: St. Petersburg) und Murmansk ein, die acht Fruchtschiffe wurden aufgelegt.

Entgegen aller strategischen Bemühungen des DSR-Managements, die Reederei auf marktwirtschaftlichen Kurs zu trimmen – unter anderem wurden rund 600 Millionen D-Mark in den Bau von sechs neuen Vollcontainerschiffen investiert – steuerte die Treuhandanstalt, die das Volkswirtschaftsvermögen der DDR verwaltete, auf eine rasche Privatisierung zu.

Nach entscheidungsschweren Jahren „des Schrumpfens, Entlassens, Auslagerns und Verkaufens“, wie Peter Geitmann, DSR-Seemann und dann Betriebsrat, den Umstrukturierungsprozess später beschrieb, verkauften die Treuhänder Mitte 1993 die DSR an die Hamburger Kaufleute Horst Rahe und Nikolaus W. Schües. Die Flotte umfasste da noch 60 Schiffe und 2200 Seeleute.

Eine Entscheidung, die emotional die Wogen hochschlagen ließ. Die neuen Eigner empfingen schwarze Flaggen am DSR-Hauptgebäude, wie sich Horst Rahe Jahre danach in einem Gespräch mit dem Autor erinnerte. Der Risiken nicht scheuende Kaufmann suchte unter der DSR-Flagge nach neuen Geschäftschancen. Auch angesichts des sich zu Beginn der 1990er-Jahre verschärfenden Windes in der internationalen Schifffahrt. Er stellte das Unternehmen auf neue Säulen – Seetouristik, Immobilien, Hotellerie. Schües kümmerte sich um die verbliebene Frachterflotte. 1998 trennten sich die Wege der beiden Investoren. Die Schiffe der DSR wurden mit der Hamburger F. Laeisz Schiffahrtsgesellschaft zur Reederei F. Laeisz zusammengeführt, deren sämtliche Anteile seit 1999 der Familie Schües gehören. Die Reederei F. Laeisz hat ihren Hauptsitz heute an symbolischem Ort, im ehemaligen „Haus der Schiffahrt“.

„Unglaublich kreativ und integrativ“, wie ihn Wegbegleiter seinerzeit beschrieben, trieb Rahe den Umbau der DSR voran. 1996 legte er mit dem Bau des Clubschiffs „Aida“ den Grundstein für Deutschlands größte Kreuzfahrtreederei Aida Cruises. Auch die A-Rosa-Flussschifffahrt initiierte er und entwickelte verschiedene Hotel- und Resorts-Marken. Von ihren maritimen Aktivitäten verabschiedete sich später die DSR. Als Beteiligungsholding konzentriert sich die Deutsche Seereederei heutzutage auf das Hotel- und Immobiliengeschäft. Nach Angaben des Unternehmens sind in der Gruppe rund 1600 Mitarbeiter beschäftigt. Es dürfte historisch einmalig sein, dass sich eine flottenstarke Universalreederei binnen drei Jahrzehnte komplett zum Hotelkonzern gewandelt hat. Am Ursprungsnamen hielt Rahe fest, weil „es die Chance war, mit großem Namen in der Champions League spielen zu können“, wie der Geschäftsführende Gesellschafter beim Erwerb der DSR seinerzeit bekannte. schw

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