Experte: Giftgasmunition in Lübecker Bucht

In der einem starken Schiffsverkehr ausgesetzten Lübecker Bucht, an dessen Ufern zudem viele Ortschaft mit einer florierenden Seetouristik liegen, befinden sich auch 75 Jahre nach Kriegsende noch erhebliche Mengen hochgefährlicher militärischer Altlasten.

Jetzt zeichnet sich ab, dass neben den für sich genommen brisanten Hinterlassenschaften aus Bomben, Torpedos, Minen und Granaten auch hochgefährliches Giftgas auf dem Grund der Lübecker Bucht liegt. Darauf macht der Koblenzer Experte für Kampfmittelrückstände im Meer, Dr. Stefan Nehring, in einem jetzt erschienenen Beitrag der Umwelt-Fachpublikation „Waterkant“ aufmerksam. Sie erscheint als Vierteljahreszeitschrift und wird vom „Förderkreis Waterkant e.V.“ herausgegeben. Die Interessenorganisation, die sich dem Meeresumweltschutz verschrieben hat, hat ihren Sitz in Krummhörn-Loquard.

Stefan Nehring, von Haus aus Meeresbiologe, beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Sachverhalt und ist mit seinen umfangreichen Nachforschungen inzwischen auch so etwas wie ein bedeutender Quellenlieferant etwa für Fachbehörden in den Küstenbundesländern oder Forschungseinrichtungen.

In dem neu erschienenen Artikel in der genannten Publikation stellt Nehring fest, dass in der Lübecker Bucht von rund 100 Tonnen Giftgasmunition aus Beständen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht auszugehen ist. Seine entscheidende Quellengrundlage stellen dabei verschiedene Unterlagen der Britischen Militäradministration dar, die im nach dem 2. Weltkrieg geteilten Deutschland für die Britische Zone zuständig war.

Auf Anordnung dieser Militärverwaltung wurden in den Nachkriegsjahren große Mengen militärischer Kampfstoffe gesammelt und vernichtet. Wobei die einfache und übliche Vernichtungslösung die Verklappung im Meer war. In Nord- und Ostsee wurden so große Mengen versenkt, teilweise gleich mit den Schiffen, die diese tödliche Fracht zuvor transportiert hatten.

Nachdem das Thema über Jahrzehnte hinweg in Vergessenheit geraten war, später dann auch bewusst ausgeblendet und auch unter den Teppich gekehrt wurde, gehen die Behörden in Deutschland, aber auch in anderen Nachbarländern seit gut zwölf Jahren viel sensibler mit dem Sachverhalt um. Auch deshalb, weil inzwischen durch viele Untersuchungen bekannt ist, dass die Munition zum Beispiel einer starken Korrosion ausgesetzt ist, es somit zum Teil zum schleichenden Austritt von hochgefährlichen Substanzen kommt.

Die Brisanz des Themas lässt sich an dieser Zahl ablesen: 1,6 Millionen Tonnen. Das ist nämlich die Menge an Altmunition aus zwei Weltkriegen, die noch in Nord- und Ostsee liegen soll. Die Masse davon sind allerdings Sprengmittel aller Art.

Nehring weist gegenüber dem THB darauf hin, dass das Thema „Giftgasmunition in der Lübecker Bucht von den zuständigen Behörden lange Zeit ausgeblendet wurde“. Für ihn ist jedoch der Handlungsdruck akut: „Ich fordere die sofortige Ausweisung von Sperrgebieten, um den unkontrollierten Zugriff auf die rund 100 Tonnen versenkte Giftgasmunition zu verhindern.“ Er plädiert zudem dafür, Strandbesucher und Wassersportler aber auch die Arbeitnehmer in der Schifffahrt und der Fischerei vor allem vor den Gefahren, die von chemischen Kampfstoffen ausgehen, eindringlich zu warnen.

Noch in diesem Jahr sollte zudem unter Hinzuziehung historischer Quellen eine „flächendeckende Suche nach dem Giftgas und anderer gefährlicher Munition“ begonnen werden. Eine daraus mit Hilfe unabhängiger Experten unmittelbar zu erstellende Prioritätenliste sei anschließend umgehend abzuarbeiten. Nehring weiter: „Die zügige Sanierung zur Gefahrenabwehr für Mensch und Umwelt ist unabdingbar.“ Denn das müsse allen klar sein: „Die tödlichen Gefahren durch Senfgas und Co. lassen kein Zögern mehr zu.“ EHA

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