Kreuzschifffahrt: „Kiel holen“ ist jederzeit wiederholbar

Foto: Hasenpusch, Wurde 2001 bei Fincantieri für die Reederei HAL gebaut: die „Zuiderdam“
Die globale Kreuzschifffahrts-Industrie ist weiter in Hochstimmung. Jedes Jahr kann sie mit neuen Rekorden glänzen.
Etwa diesen: Kontinuierlich steigende Passagierzahlen, auch weil ganz neue, gigantische Nachfragemärkte entstehen, etwa China. Schiffsneubestellungen auf dauerhaft hohem Niveau. Cruiser mit immer höheren Passagierzahlen an Bord. Und so weiter. Mit anderen Worten: Nur der Himmel scheint für diese Sonnen-Industrie die Grenze zu sein …
Doch wie so oft im Leben: Der Schein trügt. Denn in das vermeintlich positive Grundrauschen dieser auf schöne Bilder eingeschworenen Industrie mischen sich neue, fremde, zwar noch schwache Töne, aber im Kern bedrohliche Töne. Schwingungen, die, sollte die bislang erfolgsverwöhnte Industrie sie bewusst überhören wollen, sehr schnell sehr gefährlich, ja bedrohlich für ein Geschäftsmodell werden könnten.
Erzeuger dieser Töne sind gleich mehrere Interessengruppen: Zum einen sind es immer mehr Bürger vor allem jener besonders beliebten Zielhäfen, die sich im Wortsinne vor lauter „Cruise-Zuneigung“ gar nicht mehr retten können. Es sind diese Menschen, die zum Beispiel in Venedig, Barcelona, Dubrovnik, aber auch die, die in den zahlreichen äußerst beliebten Städten an Norwegens Fjorden leben. Diese Menschen sagen: So, bitte nicht weiter. Gäste und Schiffe ja, aber keine Menschen- und Schiffsflut.
Die andere, neue Tonlage wurde an Pfingstmontag (10. Juni) in Kiel angestimmt. Schrill, aggressiv und nichts Gutes verheißend. Etwa 50 sogenannte Klimaschützer, vereint in einer bislang eher unbekannten Gruppierung namens „Smash Cruiseshit“, blockierten das Auslaufen des modernen Kreuzfahrtschiffes „Zuiderdam“ für mehrere Stunden. Aus einer zunächst sehr spontan wirkenden Aktion entwickelte sich im weiteren Verlauf eine durchaus genau vorbereitete Blockade, nicht nur das Schiffes, sondern auch all jener Menschen an Bord, darunter zweifelsohne vieler umweltbewusster Reisender, die sich auf diesen Seeurlaub so gefreut und dafür auch hart gearbeitet hatten. Sie begehen also, folgt man dieser Gruppierung, „Cruiseshit“. Sind als fast „klimakriminell“.
Bemerkenswert an dieser Aktion ist im Nachhinein auch das: Es dauerte ganz offenkundig doch eine längere Zeit, ehe die Sicherheitskräfte in Kiel aktiv wurden. Weil es ein Feiertag war – auch so etwa bezieht man als Aktivist bewusst ein – mussten Polizeikräfte aus allen Teilen Schleswig-Holsteins nach Kiel geholt werden, um schließlich gegen die Aktivisten einzuschreiten. Das riecht nach „völlig überrumpelt“ und „falsch eingeschätzt“ bei den Sicherheitsbehörden.
Wohl gemerkt: Das Ereignis fand in einem Hafen, an einem Liegeplatz statt, dessen Bereich eigentlich als „ISPS“-Gebiet ausgewiesen ist. ISPS gibt es weltweit seit dem 1. Juli 2004. Die Häfen haben Milliarden Euro in die Sicherung ihrer Terminals investiert. In erster Linie von der Landseite aus, weil dort die „Bedrohungslage“ am größten erscheint. Und von der Wasserseite????
Jetzt also Kiel. Mit wenigen Paddelbooten und anderen Schwimmgeräten können sich die Aktivisten direkt ans Schiff heranbewegen und agieren: den Wulstbug besetzen, Leinen kapern und so weiter. Nicht auszumalen, wenn diese Menschen keine vermeintlichen Klimaschützer gewesen wären, sondern zum Morden entschlossene Terroristen …
Der 10. Juni 2019, der „Kiel-Day“, darf nicht einfach nur als ein harmloses „Klimaschutz-Spielchen“ eingestuft werden. Vielmehr stellt das Ereignis einen äußerst ernsthaften Eingriff etwa in den völkerrechtlich garantierten freien Seeverkehr, den Anti-Terror-Schutz, das Eigentumsrecht von Reedereien, Häfen und Terminalbetreibern dar und so weiter. Man muss kein Prophet sein, um zu behaupten: Die „Kiel-Kaperung“ kann sich jederzeit und an jedem anderen Ort mit einer florierenden Kreuzfahrtbranche wiederholen. Die Terminals liegen in der Regel sehr zentral. Etwaige Aktionen erzielen schnell eine mediale Aufmerksamkeit. Und genau das ist das Bestreben von „Cruiseshit & Konsorten“. Denn das ist doch klar: Mit ihren energieintensiven Aktionen retten sie nicht einen Eisberg oder Eisbären.
Was sie aber mit diesen Aktionen schaffen, ist aber auch das: Verunsicherung. Etwa bei all jenen, die sich für die Kreuzschifffahrt begeistern, sei es als Passagiere oder auch als „Land-Seh-Leute“. Wer will schon „Cruiseshit“ sein. Verunsicherung heißt es dann auch im nächsten Schritt, zumindest in Europa: Kreuzfahrt? Nein, danke. Arbeitsplätze in größerem Umfang könnten am Ende zunächst gefährdet, dann aber auch verloren gehen.
In der Fördestadt – aktuell ist „nur“ das bislang in Sachen Kreuzfahrt erfolgsverwöhnte Kiel betroffen – müssen sich jetzt alle wichtigen Akteure schnell an einen großen, runden Tisch setzen: der Hafen, die Sicherheitsbehörden, auch die Politiker, um nur einige zu erwähnen. Die Justiz ist aufgefordert, gegen diesen kriminellen Akt hart und unnachgiebig vorzugehen. Die Gesetzesverstöße sind mit Händen zu greifen. Das auch vor dem Hintergrund, weil jeder „Normalbürger“, der heute zum Beispiel gegen ISPS-Auflagen verstößt, sofort zur Rechenschaft gezogen wird, und zwar zu Recht!
Doch auch das gehört zum großen Grundrauschen: Die Kreuzfahrtindustrie muss in Sachen Klima- und Umweltschutz nicht nur mit Marketing-Sprüchen „einnebeln“, sondern sie muss endlich (!!) mit harten Umweltfakten aufwarten. Das heißt unter anderem: Weg vom giftigen Schweröl, weg von der Philosophie „the sky is the limit“, weg vom „Überlaufen“ der besonders beliebten Häfen, Abgabe und auch Bezahlen dafür von Grauwasser in den Häfen, um nur einige wichtige Punkte zu nennen. Die Branche sagt von sich seit Jahr und Tag das: Ihr stärkstes Verkaufs argument ist eine saubere Meeresumwelt. Sie tut dafür bereits einiges.
Aber das reicht bei Weitem nicht. Denn „Kiel geholt“ werden kann man nicht nur in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt, sondern in jedem Hafen auf der Welt, in dem Kreuzfahrt stattfindet. Wer reist schon gerne im Bewusstsein, „Cruiseshit“ zu begehen. Also: Kiel als wichtiges Zeichen begreifen und als Auftrag verstehen.
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