Ein Schiff, zwölf Namen und viel Geschichte

Klassische Linienführung, markante Erscheinung: die „Völkerfreundschaft“. Sie bekam aufgrund ihres Aussehens den Beinamen „Weißer Schwan“, Foto: Archiv Horn

Längst vergangener Charme: Blick in einen Salon der „Völkerfreundschaft“, Foto: Archiv Horn

„Dino“ der Passagierschifffahrt: die „Astoria“. Als „Stockholm“ gebaut, auch als „Völkerfreundschaft“ in Fahrt, Foto: Eckardt
Das Interesse an einer Kreuzfahrt erfreute sich in den zurückliegenden 15 Jahren gerade in Deutschland einer regen Nachfrage. Allein 2019 fuhren rund 2,2 Millionen Bundesbürger „zur See“. Dabei sind „Schiffsreisen“ als solche schon viel länger ein Thema, auch wenn der Kreis derjenigen, die sich diese Reiseform finanziell erlauben konnten, deutlich kleiner war. Ein interessantes Kapitel zum Generalthema „Seereisen“ wurde dabei auch in der ehemaligen DDR geschrieben, die eine staatliche See-Reiseorganisation aufbaute und mit verschiedenen Schiffen ausstattete.
Eines dieser Schiffe ist die ehemalige „Völkerfreundschaft“. Udo Horn, der Rostocker Schifffahrts-Journalist und Autor zahlreicher Fachbücher zur Geschichte der Kreuzfahrt, inzwischen auch zum Korrespondenten-Netzwerk des THB zugehörig, hat sich intensiv mit diesem besonderen Schiff beschäftigt. Er hat dabei so viele Fakten zusammengetragen, dass diese sogar ein ganzes Sachbuch füllen. Es wird im Sommer im Rostocker Hinstorff-Verlag erscheinen.
Der Zeitpunkt wurde dabei bewusst gewählt: Denn er fällt mit dem 60. Jahrestag der offiziellen Eröffnung des Rostocker Überseehafens zusammen, für den Mitte der 1950er-Jahre die Arbeiten begannen. Das alles mit dem Ziel, für den anderen Staat auf deutschem Boden, eben die DDR, ein eigenes „Tor zur Welt“ zu schaffen. Damit nicht genug: Die DDR-Staatsführung wollte auf diese Weise auch wertvolle Devisen einsparen, weil bis zur Inbetriebnahme des Überseehafens auch noch größere DDR-Warenströme etwa über den westdeutschen Hamburger Hafen gelenkt wurden.
Der offizielle Eröffnungstag für den Überseehafen fiel vor 60 Jahren auf den 30. April 1960 mit einem großen Staatsakt – einschließlich einer eigenen Briefmarke der „Deutschen Post“ der DDR. Ironie des Schicksals: Eigentlich sollte der historische Jahrestag am 30. April und 1. Mai dieses Jahres mit einem großen Hafen- und Volksfest gefeiert werden, weil Rostock heute im wiedervereinigten Deutschland der mit Abstand umschlagstärkste Hafen an der deutschen Ostseeküste ist. Dabei gehört Rostock gemeinsam mit Kiel und Hamburg zu den Top Drei unter den Kreuzfahrthäfen in Deutschland. Aktuell werden umfangreiche Investitionen wie die neuen Abfertigungseinrichtungen sowie eine leistungsstarke Landstromanlage am Cruise-Knoten in Rostock-Warnemünde, damit direkt im Bereich des auch und gerade für den Überseehafens so bedeutsamem Seekanals, umgesetzt. Während die Bautätigkeit weiterläuft, fiel indes vor wenigen Tagen die Entscheidung, das geplante Hafenfest wegen der Coronavirus-Pandemie ersatzlos zu streichen.
Doch zurück zum Passagierschiff „Völkerfreundschaft“. Seine Geschichte ist ebenfalls eng mit dem Überseehafen verbunden. Denn der Hafen, der zunächst einmal nur dem Seegüterumschlag dienen sollte, war für die „Völkerfreundschaft“ physischer Heimathafen und zugleich das Zentrum für die gesamte Bordlogistik, einschließlich der Organisation des Ein- und Ausschiffens der Passagiere.
Für den THB hat Schifffahrts-Autor Udo Horn einen Fachartikel geschrieben, der sich einem spannenden Kapitel der deutschen Schifffahrtsgeschichte zuwendet.
Die ehemalige „Völkerfreundschaft“ ist das erste von zwei weiter folgenden sozialistischen „Traumschiffen“. Die „Astoria“ ist die einstige „Stockholm“, die als Urlauberschiff „Völkerfreundschaft“ besonders den Rostockern vertraut ist.
Nach etlichen Namensänderungen wird das heute unter Portugal-Flagge fahrende, 1948 als „Stockholm“ in Dienst gestellte Schiff nach aktuellem Planungsstand nunmehr unter dem Namen „Astoria“ IMO 5383304) voraussichtlich am 30. April seit 60 Jahren in Folge Warnemünde ansteuern.
Gemessen an der Größe der heutigen Kreuzfahrtschiffe wirkt die „Astoria“ mit ihrer Länge von 160,07 Metern und einer Breite von rund 21 Metern vergleichsweise klein. Indes fällt das mit 16.144 BRZ vermessene Passagierschiff aufgrund seiner klassischen Schiffslinienführung sehr wohl auf und wird die Blicke der zu erwartenden zahlreichen „Shiplover“ und „Seh“-Leute auf sich ziehen, wenn sie das Cruise-Terminal in Rostock-Warnemünde zum vorletzten Mal anläuft. In der Cruise-Community ist bekannt: Die Tage der ehemaligen „Völkerfreundschaft“ sind gezählt.
Ende diesen Jahres wird sie, so der aktuelle Sachstand, dann die letzte Reise für den britischen Seetouristikbetreiber Cruise & Maritime Voyages antreten. Die weitere Zukunft ist dann ungewiss.
Gebaut wurde das bereits 1944 für die Reederei Swedish America Line (SAL) in Auftrag gegebene Passagierschiff unter der Baunummer 611 bei der Werft Götaverken in Göteborg. Es war damals das größte jemals in Schweden hergestellte Passagierschiff, zunächst ausgelegt für 395 Passagiere. Die Taufe auf den Namen „Stockholm“ erfolgte am 9. September 1946. Im Jahr 1948 erfolgte die Jungfernreise. Unter dem Namen „Stockholm“ operierte das Passagierschiff bis 1960.
In die internationalen Schlagzeilen geriet die im Linienverkehr eingesetzte Plattform, als sie am 25. Juli 1956 vor New York mit dem unter italienischer Flagge fahrenden Urlauberschiff „Andrea Doria“ kollidierte. Für 46 Menschen an Bord der „Andrea Doria“ gab es dabei kein Entkommen, als das Schiff nach der Havarie sank. Doch auch auf der „Stockholm“ starben bei dem Unglück fünf Menschen.
Das Vorschiff wurde durch die Kollision stark zerstört. Der Schiffsführung gelang es trotz dieser massiven strukturellen Schäden, das Schiff im Wortsinne über Wasser zu halten und mit Schlepperhilfe schließlich sicher nach New York zu geleiten.
Die für sich genommen bereits als seemännische Glanzleistung einzustufende Operation der Schiffsführung zum Erhalt des Schiffes wurde auch durch den Umstand unterstützt, dass die „Stockholm“ seinerzeit nicht nur gut konstruiert, sondern in der Folge auf der Werft auch grundsolide physisch gebaut wurde. So verfügte sie zum Beispiel über besonders solide konstruierte und gebaute Schottwände zwischen den verschiedenen Abteilungen und Decks.
Zudem hatten die Auftraggeber auch gesteigerten Wert auf eine höhere Eisklasse gelegt. Der Rumpf war in den entscheidenden Bereichen entsprechend solide gebaut.
Die beiden Havarie-Beteiligten waren – das ergaben die ausführlichen seeamtlichen Untersuchungen – bei dichtem Nebel mit zu hoher Geschwindigkeit unterwegs. Zum weiteren Hintergrund: Die „Andrea Doria“, die am 14. Januar 1953 ihre Jungfernreise machte, galt zu der Zeit als das schnellste Schiff der italienischen Flotte. Sie konnte bis zu 26 Knoten fahren, wobei die Standard-Reisegeschwindigkeit bei 23 Knoten lag.
Nach dem Aufprall machte die auf der Werft Cantieri Navali Ansaldo di Sestri Ponente in Genua gebaute „Andrea Doria“ sehr schnell Schlagseite. Das entfaltete eine verheerende Wirkung auf den weiteren Ablauf der Evakuierung der 213 Meter langen und 27 Meter breiten „Andrea Doria“. Durch die Schräglage konnte mehr als die Hälfte der Rettungsboote nicht mehr zu Wasser gelassen werden.
Auch mit dieser traurigen Geschichte im Hintergrund vollzog die schwedische Reederei SAL schließlich den Verkauf der „Stockholm“. Die physische Übergabe an die DDR erfolgte am 3. Januar 1960. Aus der „Stockholm“ wurde die „Völkerfreundschaft“. Aufgrund ihrer eleganten Gesamterscheinung, aber auch ihres markanten, schneeweißen Grundanstrichs bekam das Schiff schnell einen Beinamen: der „Weiße Schwan“. Der Luxusliner wurde das Flaggschiff der staatlichen DDR-Freizeit-Organisation FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund), bereedert durch die staatliche DSR (Deutsche Seereederei Rostock).
Pro Reise gelangten zu DDR-Zeiten bis zu 570 Urlauber an Bord, allesamt handverlesen, weil dem sozialistischen Staat besonders ergeben. Das Schiff bereiste in den Folgejahrzehnten Regionen, die für den „normalen“ DDR-Bürger aufgrund der de-facto nicht existenten Reisefreiheit „ins westliche“ Ausland verwehrt waren. Mit anderen Worten: ein Hauch von weiter Welt und Freiheit. Immerhin: Bis zum Jahr 1985, als das Schiff an die Firma Neptunus Rex Enter prise veräußert wurde, reisten rund 280.000 DDR-Bürger mit dem Passagierschiff.
Bei dem Verkauf 1985 und einer damit verbundenen Umbenennung blieb es indes nicht. Seit 2016 fährt der Cruise-Dino unter dem Namen „Astoria“. Wer das Schiff in Deutschland letztmalig sehen will, sollte sich den 30. September vormerken. Dann wird die ehemalige „Völkerfreundschaft“ letztmalig in Rostock-Warnemünde anzutreffen sein. uho/EHA