„Postalischer Beifang mitten auf dem Atlantik“

Stückgutfrachter „Made in Germany“. Die „Stuttgart“ wurde 1953 beim Bremer Vulcan gebaut. Sie fuhr für die damalige Hapag (heute Hapag-Lloyd) Fotos: Sammlung Schroh,

Dass die Postboje-Geschichte indes kein Seemannsgarn ist, belegt dieses Zeitdokument aus dem Jahr 1975
Die jetzt im THB neu eingeführte Rubrik „Postboje“, in der wir fortan Briefe und Mails an die Redaktion veröffentlichen, hat zu unserer großen Freude sogleich eine Reaktion im Kreis unserer Abonnenten ausgelöst.
Kapitän a.D. Klaus Schroh aus Cuxhaven, dessen Seefahrtskarriere 1955 begann, hat die Segnungen eines solchen schwimmenden Briefkastens persönlich erlebt und richtete diese Zeilen an die Redaktion:
„Wenn immer die ehemaligen Stückgutfrachter „Remscheid“ (Baujahr 1955, Flender-Werft, Lübeck, d.Red.), „Stuttgart“ (Bj. 1953, Bremer Vulkan) oder „Saarland“ (1957, Deutsche Werft, Hamburg-Finkenwerder) der Hapag-Reederei zwischen 1955 und 1965 in gebührendem Küstenabstand Ponta Delgada auf der Azoreninsel San Miguel mit Kurs Karibik oder Panama passierten, war ein Teil der Crew zuvor eifrig damit beschäftigt, schnell noch ein paar Liebes- und Treueschwüre an die Liebsten daheim zu schreiben.
Beim Sichten des nächstbesten Fischerbootes wurde dann seitens der Brückenbesatzung das Typhon aktiviert, um im Umkreis liegende Fischer zu wahrschauen. Anschließend wurden die Briefe – gut verpackt in einer großen, wasserdicht verschlossenen Blechkiste – über Bord gegeben. Der notwendige „Bojen-Ballast“ und ein aufrecht stehender Wimpel sorgten auch bei bewegter See dafür, dass die Heimatgrüße ohne zusätzlichen Suchaufwand von Fischern angesteuert und anschließend an Bord genommen werden konnten, um sie dann im Hafen der lokalen Post anzuvertrauen. Die nötigen Dollars fürs Briefporto, aber auch ein kleines Dankeschön in Gestalt von Hochprozentigem und Zigarettenstangen hatte die Besatzung natürlich nicht vergessen. Sie bescherten dem Fischer somit einen lukrativen Beifang.
Allen an dieser einzigarten „Postkette“ Beteiligten war auf diese Weise wunderbar geholfen. Vor allem konnte Hein Seemann anschließend sicher sein, dass auf die Postzustellung von der Mitte des Atlantiks in die Heimat stets Verlass und er zu Hause wieder mal der Beste war.
Natürlich war die Inanspruchnahme dieses „besonderen atlantischen Postdienstes“ immer auch abhängig von dem jeweiligen Kapitän, der Tageszeit und, nicht ganz unwichtig, dem vorherrschenden Seegang.“ Soweit die Geschichte von Klaus Schroh.
Der heute 83-jährige, weiterhin der Seefahrt sehr eng verbundene Pensionär lieferte dem THB auch noch einen kleinen philatelistischen Leckerbissen, nämlich die Scan-Kopie eines Briefes, der vor vielen Jahrzehnten auf hoher See aufgegeben wurde – über eine Postboje. Die Redaktion veröffentlicht dieses besondere Zeitdokument sehr gerne.
Was ist noch zu den in dem Brief genannten Schiffen zu sagen? Sowohl die „Stuttgart“ als auch die „Remscheid“, auf der übrigens die lange Seefahrtskarriere von Schroh begann, waren für heutige Begriffe sehr lange in Fahrt. Kapitän Schroh berichtet, dass die „Remscheid“ 37 Jahre die Weltmeere befuhr, während die „Stuttgart“ auf 27 Jahre Dienstzeit kam. Auch das ist heute kaum vorstellbar: Die beiden genannten Stückgutfrachter, von denen die „Stuttgart“ vor allem im Fahrtgebiet Europa-Südamerika-Westküste (SAWK) zum Einsatz kam und die „Remscheid“ in der West-Indien-Fahrt, hatten Stammbesatzungen in der Größenordnung von rund 40 Mann.
Der THB dankt Klaus Schroh herzlich für seinen Brief und die interessanten Hintergrundinformationen. Die Redaktion freut sich auf weitere spannende Leserpost. EHA
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