Ostsee wird zur „tickenden Zeitbombe“
Bis zum Jahr 2030 wird sich der Schiffsverkehr auf der Ostsee nahezu verdoppeln. Damit wächst die Gefahr von Kollisionen und Havarien besonders in den engen Gewässern im Fehmarnbelt und in der Kadetrinne erheblich.
Deswegen sind dringend rechtzeitige Maßnahmen erforderlich, um den Verkehr auch in Zukunft sicher und reibungslos zu gestalten. Darauf hat die Arbeitsgemeinschaft der Nautischen Vereine an der deutschen Ostseeküste in Lübeck vor Vertretern der Landkreise Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns hingewiesen.
Dazu der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Kapitän Jürgen Schlichting: „Die Ostsee ist schon heute eines der am meisten befahrenen Gewässer der Welt. Damit steigt das Risiko schwerer Havarien und Kollisionen dramatisch an. Vor allem steigt das Risiko, dass dabei große Mengen Öl ausfließen und eine Umweltkatastrophe auslösen, von der sich die extrem sensible Ostsee erst nach Generationen wieder erholen und die Milliardenschäden in der Umwelt und an der Küste auslösen wird. Es geht jedoch nicht darum, den Verkehr zu verhindern, sondern ihn auch in Zukunft sicher zu gestalten – also Vorsorge zu treffen.“
Die Größe der Schiffe nimmt ständig zu. Inzwischen verkehren auf der Ostsee riesige Containerschiffe der XXL- und Triple-E-Kategorie, sehr große Kreuzfahrtschiffe haben die Ostsee als Tourismusziel entdeckt, und die Zahl der Tanker wird sich verdoppeln, da Russland plant, die Hälfte seines Ölexports über die Ostsee abzuwickeln. Damit steigt das Risiko von Havarien mit erheblichem Austritt von Öl. Schließlich schränken geplante und bereits existierende Windparks aufgrund ihrer Nähe zum Hauptfahrwasser die Bewegungsfreiheit der Schifffahrt – und besonders der großen Schiffe mit ihrer begrenzten Manövrierfähigkeit – ein.
Temporär wird der Bau der geplanten festen Fehmarnbeltquerung zusätzliche und erhebliche Risiken schaffen. Der Tunnelbau wird sich in Form von Wanderbaustellen entsprechend dem Baufortschritt vollziehen. Dabei werden die Schiffsführungen ständig mit neuen Verkehrssituationen konfrontiert.
Risiko „Human Factor“
Während die Schiffe technisch immer sicherer werden, ist die Hauptursache für Havarien der Mensch an Bord selbst. Die Fachwelt geht davon aus, dass etwa 75 bis 96 Prozent aller Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Hinzu kommt, dass der Ausbildungsstand der Besatzung im internationalen Schiffsverkehr in der Regel nur den IMO-Mindeststandards folgt. Als Haupt- oder Mitursache für etwa 40 Prozent aller Unfälle gilt ungenügendes Risikomanagement. Im Notfall sind zudem die Sprachbarrieren innerhalb gemischter Crews ein potenzielles Risiko. Und schließlich lenkt eine ausufernde Bürokratie die Schiffsführung von ihren eigentlichen Aufgaben ab.
Sicherheit verbessern
Nicht alle Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft können von Deutschland allein durchgesetzt werden, da sie internationale Regelungen auf der Ostsee berühren. Soweit sie aber in nationalen Gewässern umgesetzt werden können, sollte dies geschehen, fordern die Verbände. Darüber hinaus sei es sinnvoll, sie in die Beratungen im Rahmen der HELCOM-Kommission oder anderen internationalen Gremien einzubringen.
Grundsätzlich muss die letzte Verantwortung für die Verkehrsregelung während der Bauzeit im Fehmarnbelt bei den entsprechenden nationalen Behörden und nicht beim Betreiber liegen. Sie haben eine detaillierte Baustellenregelung des Betreibers zu prüfen, zu genehmigen und die Einhaltung zu überwachen. pk