Bahnanschluss bis an die Ostseeküste

Der Hafen Stralsund rechnet in diesem Jahr mit einem Umschlagplus von über fünf Prozent, Foto: Schwandt
Während an der Westküste Mecklenburg-Vorpommerns die zwei größten Häfen des Landes dominieren, Rostock (Umschlag 2014: 24,2 Millionen Tonnen) und Wismar (3,5 Millionen Tonnen), verteilt sich der Seegüterumschlag in Vorpommern auf eine ganze Reihe kleinerer Häfen.
Von Sassnitz über Stralsund, Greifswald, Wolgast bis nach Anklam am Peene-Fluss zieht sich die „Perlenkette“. Die Häfen bewegen sich im Güterumschlag auf einem Niveau zwischen 100.000 und zwei Millionen Tonnen pro Jahr. Wegen der regionalen Verankerung im agrarisch geprägten Vorpommern ähneln sich die Hauptgutarten. Vorrangig werden Getreide, Dünger- und Futtermittel verladen, zudem Baustoffe sowie Schrott und Metall. Alle Häfen profitieren von guten Hinterlandanbindungen. Die nahe Autobahn A20 verläuft nahezu par allel zur Hafenrange, und zu jedem Umschlagplatz führt ein Bahnan schluss.
Einen solchen bietet seit 2012 auch der Hafen Vierow. Er befindet sich an der Südseite des Greifswalder Boddens und verfügt über eine Fingerpier, an der zwei Frachter gleichzeitig festmachen können. Die Infrastruktur des 30 Hektar großen Hafenareals ist zugeschnitten auf das spezialisierte Umschlaggeschäft. Pro Jahr gehen laut Al fred Bligenthal, Geschäftsführer der Hafen Vierow GmbH, bis zu 750.000 Tonnen Massengut, vor allem Getreide sowie Dünger, Kalk und Futtermittel, über die Kaikante. Zudem betreiben der Hafen und die vor Ort angesiedelte Viela Export GmbH mehrere Getreide-Lagerhallen (Kapazität: 90.000 Tonnen). Die Gleisanbindung zum Hinterland ermöglicht es, größere Getreidemengen über größere Entfernungen nach Vierow zu transportieren. „Wir verschiffen Getreide aus Polen, Osteuropa und Süddeutschland“, zieht Bligenthal einen Radius, „in dem nur noch in Bahn gedacht wird“. Bis zu 1500 Tonnen Getreide erreichen wöchentlich per Zug die Entladegosse an dem 1350 langen Schienenstrang. Der größte Teil der umzuschlagenden Güter wird jedoch über die Straße nach Vierow gebracht. Pro Tag rollen zwischen 100 und 150 Lkw mit insgesamt rund 3000 Tonnen Ladung an.
Jährlich werden in Vierow 250 bis 300 Schiffe abgefertigt. Größere Getreidefrachter, die wegen des maximalen Tiefgangs von 6,50 Meter nicht voll beladen werden können, steuern anschließend den Fährhafen in Sassnitz auf Rügen an. Dort wird die Ladung komplettiert. Die Viela Export GmbH hat zu diesem Zweck 2011 in Sassnitz ein Lager für 12.000 Tonnen errichtet. Der anteilige Seetransport zwischen beiden Häfen kommt kostengünstiger, als wenn die gesamte Ladung per Lkw bis nach Rügen angeliefert werden würde. Neben dieser Kooperation hat das Getreidegeschäft an der Ostküste Rügens zuletzt kräftig angezogen. Waren 2014 insgesamt 300.000 Tonnen verladen worden, erreichte das Aufkommen nach Aussage von Bligenthal „bereits in den ersten drei Quartalen dieses Jahres 750.000 Tonnen“. Ein „Ende der Fahnenstange“ sei nicht in Sicht. Insbesondere mehr Zugläufe aus dem Süden hätten den Boom ausgelöst. Der Hafen Vierow und Viela Export gehören zu BayWa Agrarhandel GmbH. Im Fährhafen Sassnitz erweitert Viela derzeit die Lagerkapazität auf künftig 40.000 Tonnen. In Vierow soll im nächsten Frühjahr mit dem Bau eines dritten Liegeplatzes begonnen werden, kündigt Hafenchef Bligenthal an. Westlich der Fingerpier soll dieser 110 Meter längs der Küste verlaufen.
In den Ostseehäfen Stralsund, Greifswald und Wolgast entwickelte sich zuletzt der Getreideumschlag „nicht so erfreulich“, wie es Hellmut Heinz, Geschäftsführer der Wolgaster Hafengesellschaft mbH, ausdrückt. Ein Grund seien die niedrigen Weltmarktpreise, „die Händler halten die Ware zurück“. Zudem würden größere Bulker über den Rostocker Hafen abgefertigt, ergänzt Sören Jurrat, Geschäftsführer der SWS Seehafen Stralsund GmbH. Umso mehr fokussieren sich die Häfen auf die anderen angestammten Gutarten. Jurrat rechnet bis Jahresende für Stralsund mit einem Umschlagergebnis von 1,75 Millionen Tonnen, was einem Plus von mehr als fünf Prozent gegenüber 2014 entspricht. Der größte Anteil entfällt auf die Ausfuhr von synthetischem Gips, der aus mitteldeutschen Kohlekraftwerken stammt und in Skandinavien für Baumaterialien verwendet wird. Derzeit arbeitet der Hafen daran, die Infrastruktur des Frankenhafens, des dritten Teilstücks des Umschlagplatzes am Strelasund, zu verbessern. 2,5 Kilometer neues Gleis sollen den Frankenhafen an das Bahnnetz anbinden. Baustart soll im Frühjahr 2016 sein. Jurrat erhofft sich damit „mehr Geschäft“ und verweist auf die Hafen-Wachstumspro gnose 2030 des Bundes, die von jährlich plus 1,8 Prozent für Stralsund ausgeht.
In Greifswald, wo laut Hafen-Geschäftsführer Dirk Ungerland seit einiger Zeit die wasserseitige Erreichbarkeit auf 3000-Tonnen-Schiffe eingeschränkt ist, sowie in Wolgast, wo Baustoffe aus der Region das aktuell magere Getreideaufkommen kompensieren sollen, werden keine nennenswerten Zuwächse erwartet. Anders im Industriehafen Ueckermünde. Dieser schlägt vorrangig Roheisen für die Gießereien in Ueckermünde und Torgelow um. Pro Jahr werden 55.000 Tonnen Roheisen angelandet. Da die in Torgelow produzierten Maschinenträger und Naben für Offshore-Windräder immer größere Maße erreichen, wäre es denkbar, die sperrigen Gussteile künftig über die Kaikante am Stettiner Haff nach Dänemark zu verschiffen, wo sie weiterbearbeitet werden, sagt Uwe Peter Graser, Geschäftsführer der Umschlaggesellschaft Industriehafen Ueckermünde mbH. Ein erster Verladungstest mit angemieteten Schwerlastkranen ist am 1. November dieses Jahres erfolgreich verlaufen. Die Auswertung wird zeigen, ob sich daraus eine neue Perspektive für den Hafen Uecker münde entwickeln kann. schw