Streiche Hafen, setze „Olympiakerngebiet“

Kühne Vision: Unikai-Terminal auf dem Kleinen Grasbrook als künftiges Olympia-Zentrum, Grafik: KCAP/Arup/Vogt/Kunst+Herbert

Foto: Arndt

Vielzweckanlage auf Abruf? Noch werden auf dem Unikai-Gelände am Hansahafen bedeutende Gütermen gen umgeschlagen, Würden verlagert: die massiven Norderelbpfähle

Mit spitzem Stift gerechnet – sagt der Hamburger Senat

Einst Hafenterminal, künftig Olympia-Spielstätte, Grafik: KCAP
Seit dem 8. Oktober 2015 liegen die Karten des Hamburger Senats auf dem Tisch: Der Finanzrahmen für die vom Stadtstaat angestrebte Durchführung der Olympischen Sommerspiele 2024 steht.
Damit wird zugleich eine Diskussionsrunde eingeläutet, die nicht nur von kühnen Visionen bis hin zu Fantasie-Ausflügen geprägt ist, sondern die über konkrete Veränderungen in einem Gebiet des Stadtstaates sprechen wird, das ein Kerngebiet des Hafens ist und bei dem – sollte Hamburg im Jahr 2017 durch das IOC (Internationale Olympisches Komitee) tatsächlich den Zuschlag für die Sommerspiele 2024 erhalten – tiefe Einschnitte erfolgen. Man könnte auch sagen: Es bleibt hier kein Stein mehr auf dem anderen. Damit nicht genug: Es wird die Hafen- und Logistikin dus trie in Hamburg absehbar belas ten und viele Ressourcen binden, und zwar noch während der Vor-Entscheidungsphase bis 2017 aufgrund von Verhandlungen mit der Stadt über Entschädigungszahlungen und konkrete Umsiedlungswünsche, vor allem aber während der Abbruch-, Neubau- und Realisierungsphase. Sämtliche Teilschritte müssen nicht nur im laufenden Betrieb erfolgen, sondern fielen, im Falles des Zuschlags durch das IOC, auch mit den forcierten Baumaßnahmen für Olympia zusammen.
Steinwerder ist das neue Entwicklungszentrum
Was alles auf die in dem 120 Hektar großen Areal „Kleiner Grasbrook“ betroffenen Firmen und ihre Mitarbeiter zukommen könnte, haben die mit der Erstellung des Finanzreports betrauten Fachleute auf rund zehn Seiten zusammengetragen (Kapitel 4 „Hafen“, ab Seite 71). Für das gesamte Paket kommen die Fachleute auf Gesamt kos ten von 1,3 Milliarden Euro. Olympia als Ganzes soll mit rund 11,2 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Die Ausgaben, die den Hamburger Steuerzahler – direkt – belasten sollen, belaufen sich auf 1,2 Milliarden Euro.
Wiederholt sprach Bürgermeister Olaf Scholz bei der Zahlenvorlage von dem „am besten durchgerechneten Bewerbungsverfahren ever“ für Olympia. Doch gerade im Kapitel „Hafen“ tauchen mehrfach Formulierungen wie diese auf: „... werden die Kosten weiter konkretisiert ...“ oder: „Um die Verhandlungsposition der Stadt nicht zu schwächen, ist es zurzeit nicht möglich, die Höhe und Verteilung der Entschädigungszahlungen offenzulegen.“ Anders formuliert: Es gibt noch zahlreiche Unsicherheiten, die tendenziell wohl eher kostentreibend wirken.
In dem Report haben die Fachleute genau aufgeführt, wohin die Firmen und ihre Betriebsstätten aus dem künftigen „Olympiakerngebiet“ (O-Ton) im Einzelnen umgesiedelt werden. Hier lässt sich schnell erkennen: Das Gebiet, das als (ehemaliger) Mittlerer Freihafen zusammengefasst wird, bekommt eine noch größere Bedeutung. Der aktuelle Hafenentwicklungsplan (HEP), der noch frei von der allgemeinen Olympia-Euphorie ist, hat dem Bereich Steinwerder, wie das Gebiet auch genannt wird, bereits eine tragende Rolle zugewiesen. Hier fand schon – ansatzweise – statt, was im heutigen Kleinen Grasbrook in gar nicht so ferner Zeit ebenfalls geschehen könnte: der Abbruch von Hafengebäuden aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, eine umfassende Suche nach gefährlichen Kriegsaltlasten sowie ansatzweise eine Teil-Neubebauung von bereinigten Flächen.
Dazu gehört auch ein Projekt, an das vor fünf Jahren noch kein Hafenplaner und Hafenpolitiker gedacht hatte: Hamburgs dritter Kreuzfahrtterminal CC 3 (Steinwerder) – als Idee im Frühjahr 2013 geboren, Anfang 2014 durch die Bürgerschaft beschlossen und am 9. Juni dieses Jahres in Betrieb genommen. Das Ganze noch deutlich günstiger als ge plant. Allein: Die Anlage ist nach weiterhin gültigem Verständnis – nochmals bekräftigt in dem aktuellen Finanzbericht – nur mit einem Nutzungshorizont bis 2030 versehen. Ob sich diese Aussage so halten lässt, darf man mit Spannung abwarten, zumal der Terminal schon in den ersten Betriebsmonaten von den Reedereien gut angenommen und auch hinsichtlich vieler Faktoren gelobt wird. Dank seiner Lage auf einer Quasi-Halbinsel, wasserseitig eingerahmt durch Kaiser-Wilhelm-Hafen und Ellerholzhafen, bietet jedoch gerade dieser Terminal die sicherlich einmalige Chance, hier ein hochmodernes Cruise Center zu entwickeln, mit weiteren Liegeplätzen für die ebenfalls immer größer werdenden Passagierschiffe, mit einem in dieser Form nirgendwo in der Nord range existierenden Cruise-Logistic-Center, einem Hotelzentrum für Seereisende und einem Verwaltungsknoten. Das alles zugleich gut erreichbar über verschiedene Verkehrswege.
Tschechische Republik hat Anspruch auf Ersatz für Moldauhafen
Losgelöst von diesen Fachautor-Visionen, die sich so nciht im aktuellen Finanzbericht wiederfinden, gibt es für den gegenüberliegenden Kuhwerder Hafen jedoch bereits konkrete Überlegungen: Hier könnte ein Ausgleich für das aufgrund von Bestimmungen aus dem Versailler Vertrag (1919) gegenüber Tschechien (ehemals Tschechoslowakei) vorzuhaltende Hafengebiet Moldau- und Saalehafen gewährt werden. Noch gibt es ein „Wenn“; denn die Gespräche mit Prag, zugleich Hamburgs Partnerstadt, sind gerade erst angelaufen. Selbst wenn sich die Tschechen damit anfreunden können, so müsste es formal noch zu Anpassungen im Versailler Vertrag kommen, ist im Report nachzu lesen. Auch das steht bereits fest: Die Verlagerungskosten werden auf gut 15,91 Millionen Euro veranschlagt.
Zu den besonders betroffenen Unternehmen der Olympia-Vision gehört der HHLA-Konzern – zum Beispiel mit dem Mehrzweckterminal von Unikai, an dem neben der HHLA mit 51 Prozent auch die Grimaldi-Gruppe (49 Prozent) beteiligt ist. Der Terminal, von zentraler Bedeutung für den Projekt-, Schwergut- und Fahrzeugumschlag, müsste weichen. Potenzielles Ansiedlungsgebiet: Steinwerder Süd, im Bereich des heutigen Roß- und Hansaterminals im Oder- und Ellerholzhafen. Aktuell befinden sich hier noch Anlagen der Buss-Gruppe. Allein für die Unikai-Teilmaßnahme fallen nach heutigem Planungsstand 188,51 Millionen Euro an.
Direkt an Unikai grenzt auch das 1978 gebaute HHLA-Frucht- und Kühlzentrum –in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends runderneuert– am O’Swaldkai. Klar ist: Kommt Olympia, müsste es an dieser Stelle seinen Betrieb einstellen. Und dann? Dazu heißt es im Bericht knapp: „HPA und HHLA erarbeiten derzeit eine Lösung.“ Kostenrahmen nach heutiger Planung: rund 79,77 Millionen Euro. Es sei derzeit allerdings noch „nicht entschieden, wo und in welchen Abmessungen das neue Fruchtzentrum entstehen wird“. Das aber hätte dann Auswirkungen auf die Kosten.
Überseezentrum wird abgerissen, Norderelbpfähle verschwinden
Zum HHLA-Umsiedlungspaket gehört auch das 1967 gebaute Überseezentrum. Zu dessen Zukunft fassen sich die Fachleute ebenfalls sehr kurz: „Für diese Anlage wird derzeit eine Lösung erarbeitet.“ Und auch das fällt in das Gesamtpaket in diesem Bereich des Kleinen Grasbrook: Das erst in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends gebaute Kühl- und Reifezentrum von Edeka für Obst und Bananen müsste verschwinden und „an anderer Stelle neu errichtet werden“. Wo das sein soll, steht aktuell nicht im Bericht.
Zu umfangreichen Umsiedlungsmaßnahmen wäre auch die stadteigene Hamburg Port Authority (HPA) gezwungen. Sie betreibt auf dem Kleinen Grasbrook, direkt am Veddeler Damm, „ein Rechenzentrum, die Nautische Notzentrale, die Schwimmenden Anlagen und den Technischen Betrieb der HPA am Lübecker Ufer“. Auch diese Einrichtungen fallen in das „Olympiakerngebiet“. Neues Zielgebiet für den Gesamtkomplex nach den Vorstellungen der Experten: die Kuhwerder Halbinsel, ebenfalls im Mittleren Freihafen gelegen. Kos ten des HPA-Gesamtpakets: 182,42 Millionen Euro.
Gefährliche Kriegsaltlasten bergen große Risiken
Im Zusammenhang mit der Betriebsstätten-Verlagerung tauchen immer wieder zwei Begriffe auf: „Kampfmittelsuche“ sowie „Hochwasserschutz“. Vor allem die Alt lastenrecherche und die Beseitigung der nach Jahrzehnten tendenziell immer gefährlicher werdenden Munitionskörper geht ins Geld. Es gehört zu den Besonderheiten des Nachkriegs-Wiederaufbaus des in weiten Teilen bis zu 90 Prozent zerstörten Hafens, dass eine Kampfmittelsuche damals offenkundig nur sehr oberflächlich ausgeführt wurde. Mit dem Ergebnis, dass Ersatzgebäude jahrzehntelang auf brisanten Flächen ruhten. Das zeigte sich beim Bau der HafenCity am Elbe-Nord ufer ebenso wie im Zuge der Vorbereitungsmaßnahmen im West erweiterungsgebiet (Eurogate-Gruppe) oder auch beim CC 3-Neubau am Kronprinzkai. Allein in diesem Gebiet wurden nach THB-Recherchen „min des tens“ fünf Bomben beziehungsweise Bombenreste gefunden. Man muss kein Prophet sein, um zu behaupten: Auf dem Kleinen Grasbrook schlummern noch etliche Risiken. Zugegeben, die HPA hat, in enger Zusammenarbeit mit bewährten Fachfirmen sowie dem Hamburger Kampfmittelräumdienst (Teil der Feuerwehr), umfangreiche Erfahrungen bei der Altlastensondierung und -beseitigung erarbeitet. Doch diese Arbeiten bleiben zeit- und kostenaufwendig.
Dass Olympia nicht nur Betriebsstätten-Verlagerungen aus dem „Kerngebiet“ in andere Hafenbereiche nach sich zieht, deutet der Bericht nur zart an. Tatsache ist: Betriebe, die am Olympia-Rand angesiedelt sind, werden auch betroffen sein. Die Autoren des Berichtes nennen zwei Unternehmen: Das Lagerei- und Logistikunternehmen Saco Shipping PCH sowie der im Stückgutbereich tätige Umschlagbetrieb C. Steinweg Süd-West Terminal müssen sich auf Nutzungseinschränkungen einstellen. Ein Grund: Die Betriebe dürfen auf ihren Anlagen Gefahrstoffe lagern und umschlagen. Wörtlich heißt es dazu im Bericht: „Aus diesen genehmigten Nutzungen folgt, dass in einem Sicherheitsradius Wohnbebauungen und Menschenansammlungen nicht zulässig sind. Es ist denkbar, dass städtebauliche Planungen zu betrieblichen Einschränkungen führen könnten. Für die Firma Saco Shipping PCH könnte eine Verlagerung als Lösung gewählt werden. Bei C. Steinweg Süd-West Terminal würden durch bauliche Veränderungen die heute notwendigen Abstände zur Wohnbebauung reduziert werden.“ Bemerkenswert: Die Unternehmens-Gruppe Saco baute erst zu Beginn des neuen Jahrhunderts die neue, hochmoderne Umschlaganlage.
Neue Landstromanlage im Hansahafen geplant
Zum Verlagerungspotenzial gehören auch verschiedene Liegeplätze im Bereich des künftigen „Olympiakerngebiets“. Das gilt im Besonderen für die wichtigen Norder elbpfähle , in direkter Nachbarschaft zum Überseezentrum. Da in diesem Bereich eine „zusätzliche Brücke über die Norder elbe“ gebaut werden soll, über die dann die Olympia-Spielstätten angeschlossen werden, müsste „ein Großteil dieser Liegeplätze entfallen“ und an „anderer Stelle wieder geschaffen werden“ – die aktuelle Vorstellung: „westlich der Kattwykhalbinsel“, also im Bereich des Köhlbrands. In diesem Hafenteil befinden sich unter anderem der Neu fahr zeug ter mi nal der BLG Logistics Group, der Terminal Hansaport sowie der CTA. Zudem ist der Köhlbrand wichtig für den Zu- und Ablauf zu den Harburger Seehäfen. Mit anderen Worten: Es ist ein Gebiet mit sehr regem Schiffsverkehr. Offen lassen die Experten, welche Kosten mit dem Dalbenneubau und weiteren „Strombaumaßnahmen“ verbunden sind. Ein anderer Ausweichstandort für die Norderelbpfähle wäre der Hansahafen. Die Schiffe, die hier anlegen, sollen mit Landstrom versorgt werden. Das technische Vorbild dazu steht am Kreuzfahrtterminal Altona (CC 2), wo sich Hamburgs erste stationäre Landstromanlage befindet, die nunmehr allerdings erst 2016 – und nicht schon wie geplant 2015 – in Betrieb gehen soll.
Eher dürftig fallen die Umsiedlungsperspektiven für all jene Fahrzeuge aus, die integraler Bestandteil des heutigen Museumshafens im Bereich der „Fünfziger Schuppenstrecke“ sind. Es handelt sich dabei um einen besonders wertvollen Teil von Hamburgs maritimem Erbe. Dazu gehört beispielhaft der im letzten Moment dem Hochofen entrisse ehemalige Stückgutfrachter „Bleichen“, der aktuell bei der Norderwerft general überholt wird.
Keine Frage: Das Zukunftsprojekt krempelt den Hamburger Hafen in einer geradezu gewaltigen Form um. Und das alles in einer unvorstellbar knappen Zeit von gerade einmal sieben Jahren, legt man 2017 als Jahr der IOC-Entscheidung und 2024 als Jahr der Spieleausrichtung zugrunde. Man bedenke: Das ebenfalls das Stadtbild verändernde Großvorhaben „HafenCity“, das ebenfalls in einem Hafenkerngebiet verwirklicht wird, soll 2025 abgeschlossen werden. Die Umsetzung wird bis dahin jedoch 25 Jahre betragen haben und nicht sieben.
Auch wenn der Bürgermeis ter höchstselbst die Kos tenzuverlässigkeit zu Olympia herausstellt: Gerade das Projekt „Hafen- und Industrie-Umsiedlung“ bietet noch viele Unsicherheiten, wie der Bericht zeigt. Und wenn schon jetzt auf mögliche Betriebs beeinflussungen für Unternehmen hingewiesen wird, die am Rande des „Olympiakerngebietes“ liegen, dann muss das mindes tens die Hafen-Fachverbände aufhorchen lassen. Denn die haben immer wieder betont, dass der Hafenbetrieb nicht unter Olympia leiden darf. Nachzulesen ist das im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und Grünen: „Hafenunternehmen und große Industrieanlagen befinden sich im Herzen der Stadt. Ziel des Senats ist es, Hamburg als leistungsfähigen und vielfältigen Universalhafen zu modernisieren und zukunftsfähig zu machen.“