Flussvertiefungen mit „Ja-Aber-Klausel“

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) knüpft die Anpassung von Flüssen in Bezug auf die Schiffsgrößenentwicklung an strenge Auflagen.

Das ist der Kern eines umfangreich ausformulierten Urteils des EuGH zur sogenannten EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Fast eineinhalb Jahre hatten sich die Luxemburger Richter mit dem Sachverhalt befasst, nachdem verschiedene deutsche Umweltverbände im Zuge der Fahrrinnenanpassung von Weser und Elbe entsprechend interveniert hatten. Bereits unmitttelbar nach der Urteilsverkündung am Mittwochmorgen reagierten die verschiedenen Interessengruppen. Für die EuGH-Richter muss der Gewässerschutz bei Entscheidungen über das Ausbaggern von Flüssen eine wichtige Rolle spielen (Rechtssache C-461/13). Er müsse bei jedem Einzelprojekt beachtet werden und sei nicht nur eine allgemeine politische Zielvorgabe. Von dieser Pflicht zum Gewässerschutz seien aber Ausnahmen möglich. Diese spielen für die Frage des Ausbaus eine entscheidende Rolle.

Der EuGH erläutert in seinem Urteil weiter, dass bereits negative Beeinträchtigungen in Teilbereichen eine Verschlechterung des Gewässerzustands insgesamt bedeuten können.

Prof. Dr.- Ing. Hans-Heinrich Witte, Präsident der für die planungsrechtliche Umsetzung der Elb- und Weservertiefung federführenden Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, begrüßt die Bewertung der höchsten europäischen Richter: „Jetzt haben wir Klarheit im Umgang mit der Wasserrahmenrichtlinie und eine für alle europäischen Länder verbindliche Grundlage bei der Anwendung dieser Richtlinie.“

Er sei „zuversichtlich, dass der Ausbau von Weser und Elbe auch nach den jetzt vorliegenden Maßstäben möglich ist“. Die Vorgaben des EuGH seien nun bei den Ausbauvorhaben an der Weser und der Elbe anzuwenden. Witten weiter: „Letztlich wird das Bundesverwaltungsgericht entscheiden, ob die Fahrrinnenanpassungen der Unter- und Außenweser sowie der Unter- und Außenelbe umgesetzt werden können.“

Auch Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos), der sich in den zurückliegenden Jahren mit großem persönlichen Einsatz für die Elbfahrrinnenanpassung eingesetzt hat, sieht das zentrale Standortsicherungsprojekt durch die Luxemburger Entscheidung bei allen Auflagen grundsätzlich gestärkt: „,Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das Projekt umsetzen können. Denn ich bin davon überzeugt, dass gute Gründe für eine Ausnahmeentscheidung bestehen. An dem unstrittigen öffentlichen Interesse am Fahrrinnenausbau hat weder die EU-Kommission noch das Bundesverwaltungsgericht jemals irgendeinen Zweifel gelassen! Und auch der EuGH hat seine heutige Entscheidung ja ausdrücklich unter den Vorbehalt einer Ausnahme möglichkeit gestellt.“

Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe e.V. (ZDS), sieht in dem Urteil „eine wichtige Etappe“. Die Planungsbehörden seien jetzt gehalten, über die erfolgten verfahrenstechnischen Hinweise des Bundesverwaltungsgerichts hinaus zusätzlich die Auslegungskriterien der Entscheidung des EuGH in die Planungen für Anpassungen von Hafenzufahrten mit einzubeziehen. Hosseus weiter: „Das muss zügig geschehen.“ Denn der europäische Außenhandel benötige leistungsfähige Seehäfen. Nach Überzeugung des ZDS ist die seewärtige Erreichbarkeit der deutschen Häfen und damit deren Wettbewerbsfähigkeit auch für den europäischen Außenhandel „von entscheidender Bedeutung“. Angesichts des stetig wachsenden Güterverkehrs und der zunehmenden Schiffsgrößen seien Fahrrinnenanpassungen „unverzichtbar“.

Für den Unternehmensverband Hafen Hamburg e.V. (UVHH) ist „erfreulich“, dass der EuGH die Wasserrahmenrichtlinie dahingehend ausgelegt hat, „dass bei Vorliegen besonderer öffentlicher Interessen Vorhaben auch nach dieser Richtlinie genehmigungsfähig sind“. Und weiter: „Aufgrund des übergeordneten öffentlichen Interesses ist die Hafenwirtschaft optimistisch, dass trotz der strengen Auslegung der WRRL die Vertiefung und Verbreiterung der Elbe genehmigungsfähig bleibt.“

Der Verein Hamburger Spediteure (VHSp) lässt Skepsis in seiner ersten Bewertung durchblicken: Es sei „zwar begrüßenswert, dass der EuGH den Mitgliedstaaten Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot der EU-Wasserrahmenrichtlinie einräumt“. Jedoch sieht VHSp-Vorsitzer Johan P. Schryver „mit großer Sorge, dass nunmehr eine Diskussion um die Ausnahmekriterien und damit weitere Zeitverzögerungen bei den Fahrrinnenanpassungen von Weser und Elbe die Folge sein werden“. Die heutige Entscheidung des EuGH zur Fahrrinnenanpassung der Weser hat deutlich zu Tage treten lassen, dass die bürokratischen Hürden, die von Infrastrukturprojekten in Deutschland übersprungen werden müssen, inzwischen standort- und damit arbeitsplatzgefährdende Dimensionen angenommen haben. „Vollends unbeherrschbar werden Infrastrukturprojekte dann, wenn neben den rechtlichen Hürden auch noch handwerklich schlecht gemachte Gesetzesreglungen, wie zum Beispiel die EU-Wasserrahmenrichtlinie, hinzukommen, die in der Praxis kaum noch handhabbar sind“, so Schryver weiter. Er geht davon aus, dass die zuständigen Planungsbehörden nunmehr unverzüglich das heutige Urteil des EuGH analysieren und prüfen, inwieweit die Planungsunterlagen angepasst werden müssen. „Vordringliches Ziel aller Beteiligten muss es sein, das Bundesverwaltungsgericht zeitnah in die Lage zu versetzen, den Weg für die Fahrrinnenanpassungen der Weser und der Elbe freizumachen. Nötigenfalls auch über eine Ausnahmegenehmigung.“

Für den Wirtschaftsverband Weser e.V. sieht dessen Vorsitzender, der ehemalige Bremer Bürgermeister Klaus Wedemeier, berechtigte Chan cen für die Umsetzung der Weservertiefung: „Da die Maßnahmen unter wirtschaftlichen und verkehrspolitischen als auch unter ökologischen Gründen zur Entlastung der Transitverkehre auf der Straße erforderlich sind, liegen zwingende Gründe des öffentlichen Interesses vor, die eine Genehmigung ermöglichen“, ist Wedemeier überzeugt.

Für die Industrie- und Handelskammer Stade (IHK Stade) ist das EuGH-Urteil „eine Herausforderung für den Standort Norddeutschland“, so IHK-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt. „Elbe und Weser sind von jeher wirtschaftlich genutzt worden und stellen bedeutende Lebensadern dar. Die jetzige Entscheidung kann sich massiv auf das Wachstum in der ganzen Region auswirken.“

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) wertete den Richterspruch als Stärkung des Gewässerschutzes. „Wenn wir naturnahe Flüsse statt Kanalisierungen fordern, die Sicherung einer hohen Wasserqualität, des Fischreichtums und die Wiederherstellung von Flussauen, dann steht ab jetzt das höchste europäische Gericht hinter uns“, erklärte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. EHA/dpa

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