Inselversorgung als existenzieller Kraftakt

Im eingeschränktem Betrieb hält die W.D.R.-Fähre „Norderaue“ die Versorgung für Föhr und Amrum aufrecht, Foto: W.D.R.

Eines von 13 Schiffen der „Weißen Flotte“ am Bodensee: die „Schwaben“, Foto: BSB
Aus der Volllast zum Fast-Stillstand: Das spüren jetzt in der Corona-Krise die im Liniendienst vom Festland zu den nord- und ostfriesischen Inseln sowie im internationalen Verkehr auf dem Bodensee aktiven Fährreedereien. Covid-19 hat die Unternehmen in eine Ausnahmesituation gebracht. Auf einen Schlag ist ihnen fast der komplette Passagierverkehr weggebrochen. Allerdings stellen die Betriebe mit ihren Schiffen weiterhin die Versorgung der Menschen sicher. „Derzeit ist die Lage zu dynamisch, um belastbare Prognosen zu stellen“, erklärt Alfred Hartmann, Präsident des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) und wagt keinen Blick in die Zukunft der Branche. Der THB hat verschiedene Reedereien zur Lage und zu Aussichten befragt.
NPDG
„Hier leben über 1000 Menschen. Außerdem hat Pellworm noch immer eine starke Landwirtschaft. Es wird viel angebaut und Milchviehhaltung betrieben. Die Milch wird auf dem Festland weiterverarbeitet, insofern werden auch Güter von der Insel nach Nordstrand befördert“, beschreibt Sven Frener, der Geschäftsführer der Neue Pellwormer Dampfschifffahrts-Gesellschaft (NPDG) die aktuelle Situation. „Güter, und natürlich in kleinem Umfang Insulaner und Arbeitnehmer, befördern wir weiterhin“, sagt er. Eine verlässliche Prognose, wann sich die Lage entspannen könnte, kann derzeit niemand abgeben. „Wir halten es für wahrscheinlich, dass nach einem Shutdown vielleicht auch den ganzen April hindurch bis in den Mai hinein eine langsame Rückkehr zur Normalität beginnt“, blickt Frener in die nahe Zukunft.
„Die Sommersaison ist definitiv noch nicht verloren. Bis die Hauptreisezeit im Juli und August anfängt, kann noch viel passieren“, so Frener. Dass es diesen Sommer gar keinen Tourismus auf den Inseln geben wird, glaubt er nicht. Derzeit ist die NPDG-Fähre „Pellworm I“ in Fahrt, das für Ausflüge und Seebestattungen genutzte Schiff „Nordfriesland“ liegt derzeit in Tammersiel. Personelle Konsequenzen bringt die Lage – zumindest bisher – nicht mit sich. Frener: „Wir möchten, wenn es irgendwie geht, mit unserer kompletten Belegschaft durch die Krise kommen. Denn wenn sie vorbei ist und neben dem Versorgungsverkehr auch der Tourismus wieder anläuft, wird hier jede und jeder gebraucht.“ Trotz bereits erheblich weggebrochener Erträge werde man vorerst weiter beobachten, um dann zu entscheiden, ob und in welchem Umfang staatliche Hilfen nötig werden könnten.
„Im Moment erwirtschaftet natürlich jede Überfahrt Verluste. Wir wollen aber deswegen jetzt nicht sofort die Struktur der Inselversorgung hier an der Nordseeküste infrage stellen“, betont Frener. Sollte es längere Zeit keinen Tourismus auf den Inseln geben, müsste man darüber nachdenken, ob der Staat einen finanziellen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Fährverkehrs leistet. „In vielen anderen Teilen Europas ist das ja ohnehin etwas völlig normales“, so Frener.
„Auf diese Krise konnte sich niemand vorbereiten. Toll finde ich, wie unsere Besatzungsmitglieder und überhaupt unser Team jetzt an einem Strang ziehen und wie alle für die Versorgung ihrer Insel ‚leben‘. Es kann gut sein, dass nach der Krise mehr Menschen bei uns Urlaub machen als bislang. Regionalität wird, das sagen verschiedene Zukunftsforscher voraus, wieder eine größere Rolle spielen. Vielleicht entscheidet sich schon im zweiten Halbjahr und erst recht in den nächsten Jahren doch der eine oder andere Urlauber, statt einer Fernreise eher hier zu uns zu kommen“, gewinnt Frener der Corona-Krise auch Hoffnungen ab.
AG Ems
„Wir haben die ersten Tage nach Bekanntwerden der Weisungen des Landes Niedersachsen im Borkum-Verkehr noch unseren Fahrplan aufrechterhalten und dann auf einen Versorgungsverkehr mit einer Fähre, der ‚Ostfriesland‘, umgestellt“, berichtet Corina Habben von der AG Ems in Emden. Statt geplant bis zu fünf Abfahrten ab Emden und bis zu vier ab Eemshaven gibt es derzeit nur zwei Abfahrten ab Emden und eine ab Eemshaven, der Katamaran ab Emden wurde eingestellt. „Im Helgolandverkehr sieht es ähnlich aus. Die bisher tägliche angebotene Abfahrt der ‚Helgoland‘ wurde auf die Tage Dienstag und Donnerstag reduziert“, sagt Corina Habben. „Nach Helgoland dürfen keine Handwerker mehr fahren. Da bleibt nicht mehr viel“, ergänzt sie.
Die nicht im Einsatz befindlichen Bordbesatzungen haben komplett auf Kurzarbeit und der Landbetrieb auf 50 Prozent umgestellt. Liquiditätshilfen werde man prüfen. Entlassungen seien aktuell nicht geplant. „Das hängt sicherlich davon ab, wie lange wir mit diesen Einschränkungen leben müssen“, erklärt die Sprecherin der AG Ems.
„Wir sind mit der Situation konfrontiert, dass alle Einnahmen über 90 Prozent zusammenbrechen, Dauer unbekannt. Wir stellen uns auf diese Situation bestmöglich ein, um auch diese gewaltige Herausforderung zu meistern“, erklärt Dr. Bernhard Brons, Vorstand der AG-Ems-Gruppe.
W.D.R.
„Als die schleswig-holsteinische Landesregierung am 16. März die Zugangsbeschränkungen zu den nordfriesischen Inseln und Halligen erließ, war jahreszeitlich bedingt nur eine überschaubare Anzahl Gäste vor Ort. Diese sind zwischen dem 16. und 19. März von Föhr und Amrum abgereist, das konnte auf den regulären Überfahren erfolgen“, berichtet Frederik Erdmann, Handlungsbevollmächtigter der Wyker Dampfschiffs-Reederei (W.D.R.). Von den Halligen Hooge und Langeneß gab es am 16. März Zusatzabfahrten für abreisende Gäste. Die 10.000 Menschen auf Föhr und Amrum sowie die 200 Halligbewohner werde man weiterhin versorgen und auch die Landwirte auf Föhr unterstützen, verspricht Erdmann. Allerdings liegen derzeit schon drei Schiffe auf Föhr, ein viertes könnte bald folgen.
„Wir arbeiten derzeit an den Vorbereitungen für Kurzarbeitergeld, um damit unsere Belegschaft auch in der Krise halten zu können. Uns treffen die enormen Erlöseinbußen massiv“, so Erdmann. Deshalb werde man auch die Liquiditätshilfen des Bundes als eine Option prüfen. Denn das wichtige Ostergeschäft ist gelaufen, und wie es weitergeht ist fraglich. „Bis zur Hauptsaison im Juli, August und in der ersten September-Hälfte vergeht noch viel Zeit und natürlich hoffen wir darauf, dass dann auch wieder Urlaubsgäste kommen“, berichtet Erdmann. Im Versorgungsverkehr müsse man jetzt sehr kostenbewusst arbeiten und den Fokus auf Effizienz legen. Erdmann: „Unser Angebot werden wir konsequent der Nachfrage anpassen müssen.“ Abwarten müsse man, ob bei einem längeren Andauern der jetzigen Sondersituation auch Beteiligungen des Landes Schleswig-Holstein an den Kosten der Insel- und Halligversorgung denkbar wären.
„Die Wyker Dampfschiffs-Reederei ist wirtschaftlich solide aufgestellt, trotzdem in einer so außergewöhnlichen und unplanbaren Krise aber nicht unverwundbar“, erklärt Axel Meynköhn, Geschäftsführer der W.D.R. auf der Insel Föhr. Und weiter: „Mit Blick auf die Perspektiven nach der Krise sind wir insgesamt optimistisch. Wir glauben, dass im Zuge veränderter Trends und eines möglicherweise veränderten Reiseverhaltens durchaus zusätzliche Gäste nach Föhr, Amrum und auf die Halligen kommen könnten.“ Für die nötige Qualität der Anbindung hat die W.D.R. mit ihrem 2019 abgeschlossenen Neubauprogramm dafür die Voraussetzungen geschaffen.
NORDEN-FRISIA
„Die Rückholaktion war durch den verstärkten Einsatz der Polizei zwar besonders medienwirksam, war aber im Rahmen unseres schon zu dem Zeitpunkt reduzierten Fahrplans noch ohne Weiteres machbar. Die Verwirrung kam leider für uns durch die unterschiedlichen Terminvorgaben von Seiten des Landes Niedersachsen sowie der lokalen Behörden“, schildert Frank Meyer von der Reederei Norden-Frisia die Situation. Und: Zurzeit könne man die Versorgung der Inseln Norderney und Juist mit zwei Schiffen bewältigen, sonst fahren bis zu fünf. Meyer: „Gerade bei der jetzt eigentlich beginnenden Ostersaison und dem zurzeit sehr schönen Wetter ist es mangels Urlaubs- und Tagesgästen ziemlich schmerzhaft.“
Zunächst wolle man über den Abbau von Überstunden und Resturlaub die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit abzufedern, danach sei Kurzarbeit ein Thema. Meyer: „Wir haben den Fahrplan auf ein Minimum heruntergefahren und versuchen die Inselversorgung mit dem möglichst optimalen Schiffseinsatz abzudecken und gleichzeitig unsere Ressourcen zu schonen.“
„Natürlich hoffen wir sehr auf die Sommersaison, um das Geschäftsjahr noch irgendwie mit einem blauen Auge zu überstehen“, blickt Meyer voraus. „Das, was in der Folge der Coronavirus-Pandemie passiert, ist wohl noch von niemandem betriebswirtschaftlich simuliert worden und trifft uns bis ins Mark. Je nachdem, wie lange der Ausnahmezustand anhält, verzeichnen wir weitere Einnahmeausfälle bis zu 100 Prozent. Dies wird im verbleibenden Rest des Jahres nicht mehr aufgeholt werden können. Sollte die Krise bis ins Jahr 2021 andauern, wird sicherlich die Existenzfrage gestellt“, sagt er.
BSB
Ein erheblicher Rückgang der Beförderungszahlen ist auch im Fährverkehr auf dem Bodensee zu verzeichnen. „Durch die aktuelle Situation sind wir wie auch die anderen Schifffahrtsunternehmen am See deutlich getroffen, das genaue Ausmaß des Schadens ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht feststellbar“, berichtete Christopher Pape, Referent der Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB). Mit 2,2 Millionen Fahrgästen pro Jahr zählt die hundertprozentige Tochter der Stadtwerke Konstanz zu den größten Touristikanbietern in der Region. Die „Weiße Flotte“ umfasst 13 Schiffe.
Pape zufolge ist die Fährverbindung zwischen Friedrichshafen und dem schweizerischen Romanshorn unter der Woche jetzt dem Warenverkehr vorbehalten. Der Pendler- und Individualverkehr kann die Verbindung, die die BSB gemeinsam mit der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt (SBS) betreiben, aufgrund der Grenzschließung nicht nutzen. Am Wochenende findet kein Betrieb statt. „Bei der Fährverbindung zwischen Konstanz und Meersburg spüren wir wegen der aktuellen Verordnung der Landesregierung einen deutlichen Rückgang der Fahrgastzahlen. Daher sind wir hier mit reduzierten Fahrplan unterwegs“, so Pape.
Ihren Saisonstart auf unbestimmte Zeit verschoben hat derweil die Ausflugsschifffahrt am Bodensee. Auch die traditionelle Flottensternfahrt wurde abgesagt. „Eigentlich hätte die Saison am 5. April beginnen sollen“, erklärte Pape. Wann die Schifffahrt aufgenommen werden kann, ist unklar. tja/bek