Die Akte ist offen - 25 Jahre nach dem Brand auf der Scandinavian
Dieses Gefühl, am Rauch fast zu ersticken, wird Jan Harsem nie mehr vergessen. Zusammen mit seiner schwangeren Frau Christine und dem eineinhalb Jahre alten Sohn Halvor war er am 6. April 1990 an Bord der "Scandinavian Star" gegangen.
Die Familie wollte die Ostertage in einem Ferienhaus in Dänemark verbringen. Doch der Trip von Oslo nach Fredrikshavn endete in einem Alptraum, der bis heute andauert. Auf dem Schiff brachen mehrere Feuer aus. 159 Menschen starben. Die mutmaßlichen Brandstifter wurden bis heute nicht angeklagt.
"Mitten in der Nacht weckte mich meine Frau und meinte, es brennt", erinnert sich der 54-jährige Harsem heute. "Sie verließ als erste die Kabine, weil sie schwanger war und frische Luft brauchte." Harsem schnappte sich den eineinhalb Jahre alten Halvor und lief ebenfalls hinaus in den Korridor. "Und dann verstand ich, wie ernst es war. Überall war Rauch, ich konnte nichts sehen, es knackte in der Decke und dann ging auch noch das Licht aus."
Irgendwie gelang es dem Vater an Deck zu gelangen, wo er seinem Sohn Rettungsringe umlegte. "Es herrschte Chaos, die Mannschaft sprach verschiedene Sprachen und war nicht für einen Notfall geschult", erzählt Harsem. Nach einer Stunde auf Deck konnte er sich schließlich in ein Rettungsboot eines anderes Passagierschiffs, das zur Hilfe geeilt war, abseilen. Halvor und er waren in Sicherheit, doch seine Frau Christine sah Jan Harsem nicht wieder. Erst nach einer Woche war klar, dass sie - wie viele andere an Bord - an den Folgen der Rauchvergiftung oder im Feuer gestorben war.
Ermittler gehen von Brandstiftung aus
25 Jahre ist das nun her, und trotzdem sind die Umstände dieser Katastrophe im Skagerrak nicht geklärt. Dänische und norwegische Ermittler kamen zu dem Schluss, dass ein dänischer Lastwagenfahrer, der als Pyromane vorbestraft war, der Brandstifter war. Der Mann war bei dem Unglück selbst umgekommen und so wurde das Verfahren 1991 eingestellt.
Der dänische Reeder, sein Geschäftsführer und der Kapitän wurden wegen eklatanter Sicherheitsmängel auf dem Schiff und fehlender Schulung der Besatzung zu sechs Monaten Haft verurteilt. Die Versicherungssumme von 24 Millionen US-Dollar (heute 22 Millionen Euro) aber kassierte eine undurchsichtig organisierte Eignergruppe namens SeaEscape in den USA.
Damit war der Fall formell abgeschlossen. Doch nicht für die Opfer und ihre Angehörigen. "Wir hatten immer das Gefühl, dass viele Fragen nicht gestellt wurden", sagt Jan Harsem, der heute die Unterstützergruppe für die Überlebenden und Hinterbliebenen leitet. "Wir hatten schon 1996 den Verdacht, dass es nicht der dänische Lkw-Fahrer war, der die Brände gelegt hatte, sondern jemand anderes."
Wiederaufnahme scheitert
20 Jahre lang versuchte die Gruppe, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen, aber vergebens. "Wir haben mindestens vier Anträge gestellt, doch der Oberste Staatsanwalt hat immer wieder abgelehnt, den Fall wieder aufzunehmen", erzählt Terje Bergsvaag. 2010 gründete er mit einer Reihe Angehöriger schließlich eine Stiftung, die sich zum Ziel setzte, "dass das Verbrechen endlich aufgeklärt wird und die Schuldigen ihre Strafe bekommen".
Im Auftrag der Stiftung durchforstete eine Expertengruppe aus Brandingenieuren, Kriminaltechnikern und Versicherungsexperten die Tausende Seiten dicke Polizeiakte und stellte eigene Nachforschungen an. Im April 2013 präsentierte sie ihr schockierendes Ergebnis: Das Feuer sei von neun Besatzungsmitgliedern gelegt worden - angeführt von einem deutschen Maschinisten, der Zeugen zufolge einen Umschlag mit 800.000 Kronen (heute rund 100.000 Euro) in die Hand bekommen habe. Alles deute auf einen gut geplanten Versicherungsschwindel hin, der außer Kontrolle geriet. Der dänische Lkw-Fahrer sei unschuldig.
Gestützt wurde die These von Aussagen von Passagieren, wonach Fenster zerschlagen waren und Besatzungsmitglieder Matratzen und anderes leicht brennbare Material auf die Gänge gezerrt hätten, wodurch das Feuer zusätzlich Nahrung bekam.
2014 entschied der Generalstaatsanwalt in Norwegen, den Fall wieder aufzunehmen. Seitdem ermittelt die Polizei wegen "Mordbrann", zu Deutsch: vorsätzlicher Mord durch Brandstiftung. Um den Beamten mehr Zeit zu geben, musste sogar das norwegische Parlament aktiv werden. Erst am 27. März wurde die Verjährungsfrist für "Mordbrann" aufgehoben. Andernfalls wären die Brandstifter, selbst wenn die Polizei nun ihre Schuld beweisen könnte, straffrei ausgegangen, weil der Fall am 7. April 25 Jahre her ist.
Ein Besatzungsmitglied zwischenzeitlich verstorben
Terje Bergsvaag und Jan Hersam sind darüber sehr froh. "Nun hat die Polizei keine Chance mehr, die Sache zu den Akten zu legen", sagt Bergsvaag. "Nun muss sie ein Ergebnis präsentieren." Er ist optimistisch, dass die Schuldigen auch nach 25 Jahren noch zur Verantwortung gezogen werden können. Abgesehen von dem deutschen Maschinenführer, der im vergangenen Jahr in Florida starb, sind alle acht unter Verdacht stehenden Besatzungsmitglieder noch am Leben. "Und wir wissen, wo sie sind und was sie machen, auch wenn sie versuchen, durch ständige Namens- und Geburtsdatenwechsel ihre Spuren zu verwischen. Wir werden sie kriegen." dpa