„Firmen würden gerne mehr ausbilden, aber …“

Der Stichtag 1. August hat in der deutschen Wirtschaft seit Jahr und Tag eine besondere Bedeutung.

Denn mit diesem Tag beginnen landesweit mehrere Hunderttausend junge Menschen ihre Berufskarriere in einem der anerkannten Ausbildungsberufe im kaufmännischen und gewerblichen Bereich. Das im Verlauf von Jahrzehnten weiter ausgebaute und perfektionierte duale Ausbildungssystem in Deutschland gilt weltweit als hoch geschätzt.

Trotz dieser Erfolgsgeschichte wachsen in den Firmen, in der Verwaltung, bei Zoll, Polizei und vielen mehr die Sorgen: Denn es fehlt an Bewerbern. Auch im laufenden Ausbildungsjahr sind landesweit mehrere Zehntausend Ausbildungsstellen nicht besetzt. Die Verkehrswirtschaft mit ihren zahlreichen, zum Teil sehr spezialisierten und zugleich zukunftssicheren Berufsbildern macht da keine Ausnahme. Das ergab auch eine Blitz-Umfrage bei den für die Schifffahrt sowie Spedition und Logistik, aber auch bei Firmen relevanten Fachverbänden und Firmen. Aufgrund des aus Sicht der Redaktion sehr erfreulichen Rücklaufes wird der THB die Wiedergabe der Aussagen in gleich zwei aufeinanderfolgenden Ausgaben veröffentlichen.

Für Dr. Alexander Geisler, Geschäftsführer beim Zentralverband der Deutschen Schiffsmaklerbetriebe (ZVDS) in Hamburg „sehen wir leider schon seit einigen Jahren einen Rückgang bei den Azubis. Zwar liegen die Zahlen für das laufende Ausbildungsjahr 2022 noch nicht abschließend vor, aber mit 178 Anmeldungen für den Beruf „Schifffahrtskaufmann/-frau“ stellt das Jahr 2021 bislang einen Negativrekord dar.“ Geisler betont ausdrücklich, dass die Ursache für diese Entwicklung „nicht an der mangelnden Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen liegt. Hier ist eher das Gegenteil zu beobachten.“

Tatsache sei, dass „viele Unternehmen mehr ausbilden möchten“. Doch gelinge es aus vielen Gründen offenkundig nicht, die für die Nachwuchsausbildung relevante Zielgruppe, also vor allem die Schulabgänger, umfassend zu erreichen. Zum einen sänken aufgrund des demografischen Wandels die Schülerzahlen bei den allgemeinbildenden Schulen. Zum anderen „litt auch die Attraktivität der dualen Berufsausbildung im Allgemeinen“. Tatsache sei, dass „allzu oft junge Leute ein Studium der betrieblichen Ausbildung vorziehen“. Es werde daher zunehmend schwieriger, überhaupt noch geeignete Kandidaten zu finden. Bitter für das Berufsbild Schifffahrtskaufmann im Norden: Der Ausbildungsstandort Cuxhaven, vor wenigen Jahren hoffnungsvoll an den Start gegangen, ist jetzt nicht mehr verfügbar. Geisler: „Die Anzahl der Berufsschulstandorte für den Schifffahrtskaufmann/-frau reduziert sich damit auf vier.“ Kritisch geht Geisler mit einer Entwicklung um, die er als „Bachelorisierung der Berufsausbildung“ umschreibt. Sie stellt nach seiner Bewertung „eine Belastung für die klassische Berufsausbildung dar“. Und weiter: „Wir beobachten hier eine echte Fehlentwicklung in der Bildungspolitik, da die duale Ausbildung fälschlicherweise gegenüber einer vermeintlichen akademischen Ausbildung abgewertet wird. Daher wird es zukünftig mehr Angebote für sogenannte duale Studiengänge geben, was letztlich eine Kommerzialisierung der Ausbildung bedeutet.“ Zudem würden viele Unternehmen versuchen, junge Menschen nach ihrem Bachelor abzuholen und dann durch eigene Weiterbildungsmaßnahmen fit für die Schifffahrt zu machen.

Mit einem sorgenvollen Blick verfolgt auch Robert Völkl, der sowohl als Geschäftsführer für den Verein Bremer Spediteure (VBSp) als auch für den Bremer Rhederverein in Erscheinung tritt. Völkl teilte auf Anfrage mit, dass „die Besetzung der Ausbildungsplätze sowohl bei den Spediteuren als auch bei den Schifffahrtskaufleuten zunehmend schwieriger wird“. Über Jahrzehnte hinweg konnten die Speditionen in Bremen regelmäßig über 200 Ausbildungsplätze besetzen. 2018 waren es sogar über 270. Im Jahr 2020 ging die Zahl der besetzten Plätze dann coronabedingt auf 185 zurück. 2021 gab es einen leichten Anstieg auf 190 Ausbildungsverhältnisse. Derzeit lägen in der Berufsschule in Bremen knapp 150 Anmeldungen vor. Völkl geht davon aus, „dass rund ein Drittel der angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Dies gilt auch für die Schifffahrt.“

Gab es viele Jahre immer zwei volle Klassen, sind es jetzt noch knapp 30 Berufseinsteiger. Völkl weiter: „Die Berufsschule in Bremen startet nach dem Ferienende am 25. August. Bis dahin ist ein Einstieg für junge Leute ohne Weiteres noch möglich. Erfahrungsgemäß werden einige Ausbildungsverträge nach dem 1. August geschlossen.“ Große Steigerungen seien aber nicht zu erwarten.

Auch für Völkl ist es „eine große Herausforderung, den Schulabgängern, insbesondere den Abiturienten, zu vermitteln, dass gerade eine Ausbildung in der Spedition oder der Schifffahrt deutlich bessere Berufschancen bietet als ein beliebiges Bachelorstudium, auch für einen qualifizierten Einsatz im Ausland“. Mit der neuen Berufsschule in Bremen werde auch der Unterricht einen Quantensprung machen.

Beim Seehafen Kiel spürt man direkt, was es heißt, um die Fachkräfte von morgen im Wettbewerb mit vielen anderen Branchen zu stehen.

Dr. Dirk Claus, Geschäftsführer der Seehafen Kiel GmbH, erklärte dazu: „Auch für uns ist es eine der großen Zukunftsherausforderungen, gute Mitarbeiter zu finden.“ Er freut sich daher, „dass wir trotz wachsendem Wettbewerb konstant ausbilden können und auch in diesem Jahr engagierte junge Menschen am Hafen begrüßen dürfen“. In der nächsten THB-Ausgabe werden weitere Aussagen zur Lage auf dem Ausbildungsmarkt erscheinen. EHA

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